Trainingsmaterial Nr. 9

Inhaltsverzeichnis

Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 8
Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 5
2 eigene Glanzstücke
Regel-Fragen – Folge 2
Hausaufgabe
Schach-Wörterbuch – Folge 2
Final Fun




  Kurzpartien – Heute: Schwache Grundreihen

Auch heute sehen wir uns einige Kurzpartien an, die durch einen schweren Fehler entschieden wurden.

Es geht heute um Mattdrohungen auf der nicht ausreichend geschützten Grundreihe.
Die Partien sind notwendigerweise etwas länger, denn dazu muss man die Schwerfiguren ins Spiel bringen und schon einiges Material abräumen.

Unsere erste Partie stammt vom Länderkampf Jugoslawien – Ungarn 1966.
Minic – Honfi, Jugoslawien 1966

Die folgende Partie spielte der spätere Weltmeister Alexander Aljechin (1892 – 1946) in einer Simultan-Veranstaltung. Sein Gegner ist also ein Amateur, der recht lange gut mithält, bevor er die Übersicht verliert.
Aljechin – Frieman, New York 1924

Die dritte Partie wurde 1979 in der sowjetischen Meisterschaft gespielt. Später hätten die beiden Meister z. B. in einem Länderkampf Ukraine – Armenien die Klinge kreuzen können.
Podgajez – Mnazakanjan, Sowjetunion 1979




  Glanzstücke der Schachgeschichte

Wir setzen unseren Streifzug durch denkwürdige Partien und Kombinationen fort.

Unser erstes Beispiel behandelt nochmals das Thema der schwachen Grundreihe. Die folgende Partie fehlt in keiner Sammlung großartiger Kombinationen.
Der Amerikaner Edward Adams (1878 – 1972) ist eigentlich nur für diese eine Partie bekannt. Sein Gegner, der Mexikaner Carlos Torre (1905 – 1978) hingegen galt als eines der ersten Schach-Wunderkinder. Diese Partie spielte er im Alter von 15 Jahren. Nach beachtlichen Erfolgen in den 20er Jahren musste sich Torre aus gesundheitlichen Gründen früh vom Turnierschach zurückziehen. So bleibt sein Name nicht wegen seiner Erfolge sondern vor allem wegen dieser einen Verlustpartie in Erinnerung.
Adams – Torre, New Orleans 1920
Übrigens sind sich die Schachhistoriker nicht ganz einig, ob diese Partie tatsächlich so gespielt wurde. Vermutlich handelt es sich um eine Analyse von Carlos Torre, die er seinem Lehrer Adams widmete. Berühmtheit hat die Kombination aber eben als Partie "Adams – Torre" erlangt.

Die folgende Partie fasziniert immer wieder, weil der scheinbar sichere Gewinn durch ein überraschendes Patt bei vollem Brett widerlegt wird. Held der Partie ist der bekannte russische Endspieltheoretiker A.Troitzki (1866 – 1942), der nur wenige Turniere spielte.
Troitzki – Vogt, St. Petersburg 1896

Die meisten Partien, die ich hier als "Glanzstücke" vorstelle, finden sich immer wieder in den einschlägigen Lehrbüchern verschiedener Autoren. Die folgende ist eine Ausnahme in doppeltem Sinne. Zum einen fand ich sie zufällig in einer Schachzeitschrift aus dem Jahre 1950, zum anderen liegt die besondere Schönheit nicht in den gespielten Zügen sondern in einer Nebenvariante.
Lothar Schmid, später ein berühmter Schach-Schiedsrichter, der selbst WM-Kämpfe leitete, gewann in jungen Jahren eine Pokalpartie gegen Muth. Die wahrhaft faszinierende Variante kam aber leider gar nicht aufs Brett: Eine Zwickmühle nach Damenopfer, die schließlich mit einem schönen Schlussmotiv Dame und beide Türme gewinnt.
Schmid – Muth, Bamberg 1949


Zwei eigene Glanzstücke

Heute sehen wir 2 meiner schönsten Gewinn-Kombinationen aus jener Zeit als ich noch intensiv Fernschach spielte. Diese Spielform habe ich inzwischen aufgegeben, denn im Zeitalter der Computerprogramme scheint sie mir weniger reizvoll geworden zu sein. Aber damals war auch das noch ein Kampf "Mann gegen Mann". Meine beiden schönsten Fernpartien wurden übrigens mit wohlwollendem Kommentar in der Zeitschrift "SCHACH" veröffentlicht.

Binder – Schwenkenbecher, Fernpartie 1984
Binder – Voigt, Fernpartie 1985




  Regel-Fragen

Und hier weitere Antworten auf Fragen zu den Turnierregeln:

Frage Antwort Hinweise
Mit welcher Hand soll ich die Uhr drücken? Man soll die Uhr mit der gleichen Hand drücken, mit der man gezogen hat. Es gibt eine noch einfachere Merkregel, aber der gute Geschmack und der Jugendschutz verbieten es, diese hier zu erwähnen.
Wer entscheidet, wo die Uhr zu stehen hat? Das entscheidet ganz allein der Schiedsrichter bzw. Turnierorganisator. Frühere Regeln wie "rechts von Schwarz" gelten nicht mehr.
Normalerweise stehen alle Uhren in gleicher Richtung, damit der Schiedsrichter mehrere Uhren zugleich im Blick hat.
Ich will einen Bauern umwandeln, aber die passende Figur ist nicht zur Hand. Man darf die Uhr anhalten und den Schiedsrichter oder einen Betreuer rufen und um die fehlende Figur bitten. Vor (!) dem Abstellen der Uhr klar ansagen, dass man eine Figur braucht und um welche Figur es sich handelt.
Auf keinen Fall z. B. einen umgedrehten Turm als Dame auf das Brett stellen!!
Wie lange muss ich aufschreiben? Normalerweise besteht Schreibpflicht solange man mehr als 5 Minuten auf der Uhr hat – sei es vor einer Zwischenkontrolle oder für den ganzen Rest der Partie. Wenn nur ein Spieler weniger als 5 Minuten hat, bleibt für den anderen die Schreibpflicht bestehen.
Wir haben nicht mehr mitgeschrieben. Jetzt ist das Blättchen gefallen und niemand weiß, ob 40 Züge geschafft waren. Uhren anhalten und die aktuelle Stellung notieren. Dann soweit nachspielen, wie zweifelsfrei mitgeschrieben wurde. Dann stellt man fest, wieviel Züge bis zur Partiestellung fehlen. Notfalls an ein anderes Brett gehen, wo man ohne zu stören die Partie nachspielen kann. Den Schiedsrichter immer dazu rufen!
Soll ich meinen Zug zuerst aufschreiben oder zuerst ausführen? Die Regeln verlangen, den eigenen Zug aufzuzeichnen, bevor man den nächsten Zug macht.
Außerdem verbieten sie es, den Zug vor der Ausführung aufzuschreiben.
Für die – eigentlich unschöne – Regel, das vorherige Aufschreiben zu verbieten, sind wohl übereifrige Jugendtrainer verantwortlich, die ihren Schützlingen noch einen Tip geben wollten, in dem sie den vorab aufgeschriebenen Zug durch mehr oder wenige deutliche Gesten beurteilten.
Im Verlaufe der Partie hat ein Spieler einen regelwidrigen Zug gemacht (z. B. ein Schach nicht abgewehrt). Dies wird erst später erkannt. Die Partie wird bis zu der betreffenden Situation zurückgenommen und von dort an weitergespielt. Falls möglich, muss der Spieler die gleiche Figur ziehen wie ursprünglich ("berührt – geführt")



  Hausaufgabe

Wir lösen jetzt die Aufgabe aus Training Nr. 7 auf.

Die richtige Antwort lautet C . Auch B wäre nicht ganz falsch gewesen.
Die gelockerte Königsstellung trägt dazu bei, dass sich Schwarz so oder so nicht mehr retten kann.
Alles weitere sehen wir uns in der Partieanalyse an:
Lösung zur Hausaufgabe


Und hier nun die neue Aufgabe für dieses Mal.

Die heutige Hausaufgabe besteht aus 3 einfachen Partien, in denen jeweils ein unmittelbarer Materialgewinn zu finden ist.
Schwarz am Zuge, gewinnt
Weiß am Zuge, gewinnt
Schwarz am Zuge, gewinnt

Zusatzfrage: Worin besteht die Gemeinsamkeit aller 3 Partien?


Hier noch ein Tip zur Hausaufgabe aus Nr. 8:
Schwarz konnte gegen Ende der Partie unter günstigen Umständen die Dame opfern und damit in klaren Vorteil kommen.




  Schach-Wörterbuch

Wir setzen unsere Übersetzungshilfe für englische Schach-Websites und Bücher fort.

Englisch Deutsch Erläuterung
exchange Qualität
Abtausch
Wertunterschied von Turm und Leichtfigur
Tausch gleichwertiger Figuren
sacrifice Opfer
move Zug
pin Fesselung
fork Gabel
passed pawn Freibauer
promotion Bauernumwandlung
discovered check Abzugsschach
files
rows
Linien
Reihen
senkrechte Linien (z. B. d-Linie)
waagerechte Reihen (z. B. 7. Reihe)
flag Blättchen Das Fallblättchen der Schachuhr



  Final Fun

Zu den schönsten Geschichten gehören die, welche man selbst erlebt:

1995 spielte ich mit meinem damaligen Verein aus einer kleinen Stadt mit nur 3000 Einwohnern im Bezirkspokal.
Wir waren Bezirksligist und krasser Außenseiter in diesem Wettbewerb. Das Losglück war uns in der ersten Runde hold, trafen wir doch auf ein etwa gleichwertiges Team. Diesen Wettkampf konnten wir klar gewinnen, mir gelang mein wohl einziger Sieg gegen meinen Angstgegner Heinz Tiebe.
In Runde 2 waren wir gegen jedes andere Team chancenlos. So blieb uns als Wunsch nur ein möglichst attraktiver Gegner – und der sollte "USC Magdeburg" heißen, damals Bundesligist und mit dem frischgebackenen Junioren-Weltmeister (Slobodjan) und Vizeweltmeister (Onischuk). Wir machten große Pläne, wollten ein werbewirksames Event daraus machen, Plakate drucken, den Bürgermeister einladen. Die Schlagzeile war auch schon fertig: "Der erste Weltmeister seit Max Schmeling". Denn der große Boxer hatte in den 30er Jahren in unserem Ort trainiert…
Dann kam der Tag als ich den Brief (Internet gab's noch nicht) mit der neuen Auslosung erhielt und am Abend meinen Vereinskameraden die Nachricht überbrachte:
"Leute, wir haben es so gewollt. Wir haben ein Heimspiel gegen den USC Magdeburg gewollt…"
Erwartungsvolles Schweigen!
"Das hätte auch fast geklappt…" – "Ja, das hätte fast geklappt…" – "Das hätte geklappt…" - "Das hätte geklappt, wenn…" – "Wenn der USC Magdeburg in die 2. Runde gekommen wäre…"
In der Tat waren die Magdeburger mit geschwächtem Aufgebot zu einem Landesligisten gefahren und hatten dort verloren. Gegen eben diesen Gegner mussten wir jetzt ran…
Unnötig zu sagen, dass wir auch so das Zweitrundenspiel hoch verloren haben, aber das große Event war uns verdorben. Der Trost "Wir waren eine Runde länger dabei als der Bundesligist", half uns da auch nicht weiter.

Zu meinen Mannschaftskameraden gehörte damals auch Hubert G. – ein seriöser älterer Herr den, ich erst kennenlernte als er schon fast 70 Jahre alt war. Da war er gerade als deutschstämmiger Spätaussiedler aus Polen gekommen.
Eines Abends stellte er sich in unserem Verein vor, er würde gerne mitspielen, habe aber seit 40 Jahren kein Schach gespielt. Nun, wir freuten uns auf leichte Beute und ließen ihn spielen. --- Er fegte uns alle vom Brett.
Zögernde Fragen: "Sie haben wirklich 40 Jahre kein Schach gespielt?" – "Ja, stimmt ---- aber vor 40 Jahren war ich Nummer 1 von Polen." - "Hatten wir Länderkampf mit Tschechoslowakei, haben sie mich nicht gekannt, haben mich ans 1. Brett gesetzt." - "Naja, musste ich gegen Pachman spielen…". – Ehrfürchtiges Schweigen, wussten wir doch, dass Ludek Pachman (1924 – 2003) später ein absoluter Weltklasse-Spieler war. – "… musste ich gegen Pachman spielen."
Pause. "Naja, habe ich zweimal Remis gespielt."

Hubert G. und das Remis --- das ist eine Sache für sich.
Wir bestritten einen Freundschaftskampf mit einem Verein aus Hannover bei stark verkürzter Bedenkzeit (1 Stunde?). Herr G. hatte eine klar gewonnene Stellung, sagen wir mal ein Turmendspiel mit 2 Mehrbauern. Aber er braucht vielleicht noch 10-15 Züge, um zu gewinnen. Dafür ist er in extremer Zeitnot, hat nur noch Sekunden auf der Uhr. Plötzlich fängt er an zu fluchen (nicht alle Worte waren druckreif): "Habe ich zu langsam gespielt,… habe ich klar gewonnene Partie,… schaffe ich in dieser Zeit nicht zu gewinnen,… Sch… habe ich zu langsam gespielt… Naja -- ist Remis ."
Er steht auf und geht, ohne auf die Idee zu kommen, ob der Gegner das Remis überhaupt akzeptiert. Der hätte natürlich auf Zeit spielen und vermutlich gewinnen können. Na gut, es war ein Freundschaftsspiel, da nahm man es nicht so tragisch.

In ähnlich schlechter Stellung (aber ohne Zeitprobleme) bot ihm sein Gegner in einem anderen Wettkampf Remis. Der Gegner (leise): "Ich biete Remis." – Hubert G.: "Wie bitte?" – Der Gegner (lauter): "Ich biete Remis." - Hubert G.: "Meinen Sie das im Ernst?". – So kann man ein Remisgebot auch ablehnen. Natürlich gewann Herr G. die Partie schnell.
Da denkt man unweigerlich an den großen Tartakower, der 1950 bei der Schacholympiade den oftmaligen finnischen Meister Eero Böök nach einer Bemerkung, die Partie sei doch wohl hoffnungslos, abkanzelte: "Bitte, bleiben Sie seriös!".

Unser Vereinsvorsitzender war damals ein sehr engagierter – aber persönlich eher unangenehmer – Herr. Er spielte schon viele Jahre Schach und kannte alle Spieler der Region aus unzähligen Wettkämpfen. Wenn er uns auf einen Gegner einstimmen wollte, hatte er die Eigenart, diesen über den grünen Klee zu loben: "Das ist ein schwerer Gegner. Da müssen Sie mächtig aufpassen… der ist unheimlich stark… … fast so stark wie ich." Er meinte das irgendwie ehrlich, doch da wir seine Stärke kannten, verpuffte die Warnung oft unbeachtet. Aber der Spruch hat als geflügeltes Wort den Vorsitzenden lange überlebt.

Zu einem anderen Bonmot: Ich spielte beim Open in St. Ingbert 1992 gegen Herrn Dr. J., der mir um fast 600 DWZ-Punkte überlegen war und natürlich auch diese Partie gewann. Ich spielte ein Gambit, verwechselte aber irgendwie die Varianten und war in einem Abspiel gelandet, wo man eigentlich keinen Bauern weniger haben sollte. Das erklärte mir Dr. J. dann auch in der Analyse. Ich meinte allerdings, das sei alles noch spielbar und mein Fehler lag bei einem späteren Zug mit einem Tempoverlust.
Als wir in der Analyse an dieser Stelle angekommen waren, sagte ich also: "Na, das war wohl falsch von mir." - Dr. J. (fast väterlich): "Nein, nein. Das war nicht falsch." – Ich: "Aber das muss doch falsch sein. Ich verliere ja glatt ein Tempo dabei." – Er: "Nein, das war nicht falsch. Sie haben einen Bauern weniger und ich stehe gut. --- Sie können hier nichts mehr falsch machen."




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Thomas Binder, 2003