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Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 10
Regel-Fragen Folge 3
Hausaufgabe
Wie funktioniert eigentlich …
Nachlese BEM-Qualifikation 2003
Final Fun
Auch heute sehen wir uns einige Kurzpartien an, die durch einen schweren Fehler entschieden wurden.
Oft ergibt sich die Gelegenheit, mit der Dame einen Bauern auf b2(b7) zu schlagen. Fast ebenso oft ist das falsch.
Ein Schachmeister soll testamentarisch verfügt haben, dass sein Sohn enterbt wird, falls er jemals auf b2 oder b7 mit der Dame einen Bauern schlägt.
Von Großmeister Paul Keres (1916 – 1975) wird der Ausspruch überliefert, man solle auf b2(b7) selbst dann nicht schlagen, wenn es gut wäre.
In diesem paradoxen Satz steckt viel Wahrheit, denn Varianten mit einem solchen Bauernraub müssen sehr genau und weit berechnet werden, was immer
die Gefahr eines Rechenfehlers beinhaltet.
Der Einschlag kann sich auf zweierlei Art rächen:
Die beiden ersten Partien zeigen uns, dass selbst Weltklassespieler dieser Verlockung erliegen können.
Das erste Beispiel zeigt einen schönen Sieg des späteren Weltmeisters Michail Botwinnik (1911 – 1995) gegen den Österreicher Rudolf Spielmann (1883 – 1942),
der hier aber den Höhepunkt seiner Karriere schon überschritten hatte. Er galt vor allem als brillanter Angriffsspieler, was natürlich auch die Gefahr drastischer Niederlagen mit sich brachte.
Botwinnik – Spielmann, Moskau 1935
Im nächsten Spiel ist es sogar ein künftiger Weltmeister, der verliert. Allerdings war der Holländer Max Euwe (1901 – 1981) hier
noch am Beginn seiner Laufbahn, während sein Gegner der Tscheche Richard Reti (1889 – 1929) auf dem Zenit einer großen Karriere stand, die durch
Krankheit und frühen Tod unvollendet blieb. Diese Partie gehört zu den Glanzstücken, für die man sich immer an ihn erinnern wird.
Reti – Euwe, Rotterdam 1920
Nun zu den Beispielen mit weniger klangvollen Namen:
Hier sehen wir einen eindrucksvollen Damenfang.
Karasjew – Korsunski, Sowjetunion 1979
Und in den beiden nächsten Partien wird der König von seiner Dame verlassen und ist ohne sie den gegnerischen
Angreifern ausgeliefert.
Földi – Florian, Ungarn 1958
Runau – Schmidt, Deutschland 1972
Beide Partien sind sicher auch wegen der putzigen Schlußwendungen sehenswert.
In den gleichen Themenkomplex gehört übrigens auch die Partie Springe – Gebhard aus dem 10. Training.
Zum Schluß wie so oft noch eine eigene Partie zum Thema. Ich gewann sie 1988 gegen einen aufstrebenden
Jugendspieler, der damals ca. 15 Jahre alt war.
Nowikow – Binder, Berlin 1988
Heute gehen wir auf die Besonderheiten einer Blitzpartie ein.
Von "Blitzschach" spricht man normalerweise bei Partien mit einer Bedenkzeit von bis zu 5 Minuten pro Spieler.
Es gelten selbstverständlich alle Schachregeln (auch "Berührt-Geführt") – mit folgenden Ausnahmen:
Wir lösen jetzt die Aufgabe aus Training Nr. 9 auf.
Alle 3 Stellungen hatten die Gemeinsamkeit, dass der entscheidende Angriff mit einer "Gabel" – also dem
Doppelangriff einer Figur in 2 Richtungen – verbunden war.
Lösung 1
Lösung 2
Lösung 3
Und hier nun die neue Aufgabe für dieses Mal.
Wir sehen uns 2 Partien jeweils vor dem entscheidenden Gewinnmanöver an. In beiden Fällen muß man "bewährte" Muster über Bord
werfen, um auf die Gewinnideen zu kommen. Auch sind es diesmal nicht die spektakulären Opfer, sondern eher unscheinbare
Züge, die den Gewinn sichern.
Verlierer der 1. Partie ist der damals 12jährige Wunderknabe Gata Kamsky, sein Gegner der Großmeister Tiwjakow.
Kamsky stieß in wenigen Jahren zur absoluten Weltspitze vor, scheiterte 1995 und 1996 nur ganz knapp am Gewinn
der Weltmeisterschaft und unterbrach danach seine Karriere zugunsten von Studium und Beruf.
Die 2. Partie zeigt uns einen Sieg von Weltmeister Alexander Aljechin (1892 – 1946) gegen den Russen Oscar Chajes
(1873 – 1928).
Kamsky – Tiwjakow, Schwarz am Zuge
Aljechin – Chajes, Weiß am Zuge
Heute werden die meisten Turniere nach dem Schweizer System organisiert. Es ermöglicht die Teilnahme
einer großen Zahl von Spielern oder Mannschaften. Obwohl längst nicht jeder gegen jeden spielen kann,
ist nach (meist) 7 oder 9 Runden ein Sieger gekürt und eine ungefähr plausible Rangfolge ermittelt.
Dabei sind die Grundprinzipien denkbar einfach:
Für den einzelnen Spieler hat dieses Paarungsverfahren eine interessante Konsequenz:
Gewinnt man eine oder mehrere
Partien, ist mit einem stärkeren Gegner zu rechnen. Nach Niederlagen rutscht man in der Tabelle ab, bekommt aber auch
einen wahrscheinlich schwächeren Gegner. So kann auch z. B. ein Remis zur rechten Zeit nicht nur Kraft in der aktuellen
Partie sparen, sondern auch noch für die folgenden Runden günstig sein.
Andererseits ist eine Niederlage in der letzten Runde besonders ärgerlich, denn hier fehlt es an der Gelegenheit, dies
in der nächsten Partie gegen einen schwächeren Gegner zu korrigieren.
Nun ist natürlich klar, dass bei einem Turnier nach Schweizer System (man stelle sich 500 Spieler in 9 Runden vor) viele Spieler
punktgleich abschließen – oft sogar auf den vorderen Plätzen. Hier benötigte man ein Verfahren, um dennoch eine Rangfolge festzulegen.
Man geht dazu davon aus, dass unter Punktgleichen, derjenige Spieler besser ist, der die stärkeren Gegner hatte.
Dazu addiert man einfach die von den Gegnern in diesem Turnier erreichten Punkte und ermittelt so die (nach dem Erfinder des
Systems benannte) Buchholz-Zahl. Ist auch diese Zahl gleich, müssen weitere Wertungen herangezogen werden. Üblich sind
z. B. die Summe der Buchholz-Punkte der Gegner, die mittlere Buchholz-Zahl (unter Streichung des besten und schlechtesten Gegners) oder
die Sonneborn-Berger-Wertung, bei der die Punkte der Gegner noch mit dem eigenen Partieergebnis gewichtet werden. In diesem letzten Fall
addiert man also nur die Punkte der geschlagenen Gegner und die Hälfte der Punkte von Gegnern, gegen die man Remis spielte.
Gerade im Mittelfeld eines großen Turniers ist aber die so errechnete Platzierung nicht viel wert. Oft bedeutet ein halber Punkt mehr
oder weniger einen Unterschied von über 50 Plätzen. Da kann man genauso gut auch würfeln…
Das Qualifikationsturnier zur Berliner Meisterschaft 2003 wird mir immer in guter Erinnerung bleiben.
Ich spielte eines meiner besten Turniere und dabei fast durchweg interessante und gehaltvolle Partien.
In der Startrangliste war ich unter über 200 Spielern etwa an Position 60 gesetzt. Mein Ziel ist es eigentlich
bei jedem Turnier, mich gegenüber der Setzliste zu verbessern, dafür würde man hier etwa 5,5 Punkte aus 9 Runden
benötigen. Dies entsprach auch der Norm um sich für die B-Klasse der Berliner Meisterschaft zu qualifizieren.
Gespielt wurde an 9 aufeinander folgenden Tagen (meist abends ab 17 Uhr) in einem komfortablen Saal, wobei
die ersten 15 Bretter auf der Bühne im Blickpunkt standen. Der Platz auf der Bühne war also für viele Spieler
eine zusätzliche Motivation.
Die Bedenkzeit betrug 2 Stunden für 40 Züge + 30 Minuten für den Rest, maximal also 5 Stunden pro Partie.
In 2 Partien (Runden 4 und 6) kam ich der maximalen Zeit recht nahe. Die übrigen dauerten meist zwischen 3 und 4
Stunden.
Ich spielte wie gesagt sehr erfolgreich, erreichte 6 Punkte und den 32. Platz.
Hier nun alle 9 Partien zum Nachspielen mit ausführlichen Kommentaren zu konkreten Varianten und zu meinen Gedanken.
Runde 1: Sieg gegen Lunau (1429)
Runde 2: Remis gegen Rother (1195)
Runde 3: Sieg gegen Imerliadis (1587)
Runde 4: Remis gegen Schmidt (1988)
Runde 5: Sieg gegen Kinder (1975)
Runde 6: Niederlage gegen Schreck (1928)
Runde 7: Sieg gegen Schmarr (1708)
Runde 8: Niederlage gegen Kapr (1945)
Runde 9: Sieg gegen Ewald (1786)
Na gut, heute ist auch beim Spaß ein wenig Mitdenken gefordert. Aber ich verspreche am Ende einen netten Aha-Effekt.
Denn wir stellen uns heute die Frage:
Die Antwort zuerst: Als Retroschach bzw. Retroanalyse bezeichnet man konstruierte Aufgaben, die sich nur lösen lassen, wenn
man etwas über die Geschichte der Stellung (also die vorangegangenen) Züge heraus bekommt.
Mit 2 einfachen (!!) Beispielen will ich die typischen Denkmuster dieser netten Spielerei verdeutlichen.
Versucht bitte, jeden Gedankengang zu verstehen bevor ihr den nächsten nachvollzieht. Und vielleicht gelingt
es auch schon, den einen oder anderen Schluß selbständig zu ziehen.
Weiß am Zuge
Die etwas kuriose Frage zu dieser Stellung lautet: Hat in dieser Partie bereits eine Bauernumwandlung stattgefunden?
Wir wollen sehen, wie der Retroanalytiker diese Frage beantwortet:
Studie von Dawson (Dawson's Weihnachtsbaum), 1914
Dies ist eine der berühmtesten Retro-Aufgaben. Neben der kuriosen Form ("Weihnachtsbaum") fasziniert sie
vor allem durch die symmetrische Aufstellung aller Figuren, die in der Lösung dann doch einer überraschenden
Asymmetrie weichen wird.
Weiß am Zuge, setzt in 2 Zügen Matt.
Diese scheinbar einfache Forderung lässt sich nur retroanalytisch lösen.
Hier nun eine sogenannte Beweispartie, also eine Zugfolge, um diese Stellung tatsächlich mit legalen (wenn auch nicht immer guten) Zügen
zu erspielen.
Beweispartie
Übrigens: Wie man sich leicht vorstellen kann, ist diese Stellung z. B. als Weihnachtsgruß sehr populär.
Für Fragen, Kritiken und Anregungen bitte Email an mich