Trainingsmaterial Nr. 40

Inhaltsverzeichnis

Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 22
A Guide to P-R3 – 2. Teil
Endspiel intensiv – Folge 9
Kollineare Züge
Internationale Titel im Schach
Schachlinks – Folge 17
Final Fun
Hausaufgabe




  Eröffnungsfallen und Kurzpartien
Heute: Springeropfer auf f7

Das Springeropfer auf dem schwachen Feld f7 (f2) gehört zum Standard-Repertoire jedes Schachspielers. Wir werden das umfassende Material in mehreren Folgen betrachten. Heute geht es um den recht einfachen Fall, dass mittels dieses Opfer der Bauer e6 seiner Deckung beraubt wird und nachfolgend die Dame über dieses Feld eindringen kann.
Den Anstoß zu dieser Betrachtung gab eine eigene Partie aus der BEM-Qualifikation 2006. Man wird überrascht sein, dass selbst ein gestandener Turnierspieler auf solch einfache Art zur Strecke gebracht wird:
Binder – Bünger, Berlin 2006
Passender Kommentar eines Freundes: "Na, das lernt man doch zuerst, wo die schwachen Punkte sind. Und wenn man es nicht lernt, bekommt man es eben gezeigt."
Damit uns genau das nicht passiert, folgen einige weitere instruktive Beispiele.
Kotan – Lembak, Slowakei 1997

In diesen beiden Partien hatte es der Verlierer noch nicht einmal geschafft, seinen König mit der Rochade in Sicherheit zu bringen. Doch auch nach der kurzen Rochade bleibt das Feld f7 verwundbar.
Sehen wir nun Exweltmeister Capablanca bei einem Simultanspiel.
Capablanca – Bray, England 1919

Es sei darauf hingewiesen, dass unser Motiv auch mit Schwarz erfolgreich eingesetzt werden kann. In diesem Fall geht es eben um das Feld f2. Folgende Kurzpartie ereignete sich in einer finnischen Stadt mit einem unaussprechlichen Namen.
Salopaa – Birjukow, Finnland 1991

Schließlich sehen wir 3 Partien, in denen der Einschlag auf f7 höchst unterschiedliche Mattbilder vorbereitet.
Der Brite Henry Atkins (1872 – 1955) ist außerhalb seiner Heimat fast vergessen – zu Unrecht, war er doch lange einer der führenden Spieler des Landes und zeigte sein Können in solch eindrucksvollen Partien wie der folgenden:
Atkins – te Kolste, Amsterdam 1899
Sehen wir nun einen Schweden und einen Russen – bei einem Turnier in der Tschechei:
Persson – Remizow, Tschechei 1998
Zum Abschluss das gute alte "erstickte" Matt:
Chojnacki – Burzynski, Polen 2001




  A Guide to P-R3 (2. Teil)

Wir setzen nun die Übersetzung des hervorragenden Artikels von Dan Heisman aus der vorigen Trainingseinheit fort.
A Guide to P-R3 (2. Teil)




  Endspiel intensiv
Turm gegen Läufer ohne Bauern

Diese Situation gehört zu den sogenannten "elementaren" Endspielen. Gemeinhin geht man davon aus, dass bei dieser Materialkonstellation die Partie sofort remis gegeben wird.
Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Schließlich kann der Spieler mit dem Turm noch einige Versuche unternehmen, da er in keinem Fall in Verlustgefahr gerät. Der Verteidiger muss ständig aufmerksam spielen. Es lohnt sich also, die Möglichkeiten und Feinheiten des Endspiels zu kennen, damit man nicht in eine Falle gerät oder aber eine gebotene Chance ungenutzt verstreichen lässt.
Das Trainingsmaterial befindet sich in einem eigenen Dokument:
Endspiel mit Turm gegen Läufer ohne Bauern




  Kollineare Züge

Wir haben es zunächst mit einem mathematischen Begriff zu tun: Kollinear heißen drei oder mehr Punkte, die auf einer Geraden liegen. Der englische Großmeister John Nunn übertrug diesen Begriff auf das Schachbrett:
Er betrachtet die von zwei Figuren (beider Spieler) aufgespannte Gerade (Diagonale, Reihe, Linie), wobei zwischen beiden Figuren kein weiterer Stein stehen möge. Wenn nun eine Figur entlang dieser Geraden zieht, aber nicht die gegnerische Figur schlägt, so bezeichnet er dies als kollinearen Zug – das Zielfeld des Zuges bildet gewissermaßen den dritten Punkt im Sinne der mathematischen Definition.
Interessanterweise werden kollineare Züge von den Spielern besonders oft übersehen. Das Erkennen eines solchen Motivs kann also ganz unerwartet zum Partiegewinn führen.

Verdeutlichen wir uns das Gesagte an einigen lehrreichen Beispielen:
In der ersten Partie sehen wir John Nunn persönlich in einer Bundesligapartie gegen den deutschen Großmeister Keitlinghaus.
Nunn – Keitlinghaus, Deutschland 2003
Der kollineare Zug ist hier nicht besonders spektakulär, dient aber gut zur Veranschaulichung des Begriffes.

Einen wunderschönen kollinearen Zug zeigt uns der ungarische Großmeister Geza Maroczy (1870 – 1951). Er gehörte in den Jahren von etwa 1905 bis 1925 zu den stärksten Spielern der Welt und gewann noch 1936 mit seiner Mannschaft die Schacholympiade.
Maroczy – Romi, Italien 1930
Nunn bemerkte zutreffend, dass kollineare Züge besonders schwer zu erkennen sind, wenn sie von der gegnerischen Figur weg führen.

Auch mir selbst ist einmal ein schöner Kollinear-Zug gelungen, auch wenn ich den Begriff damals noch gar nicht kannte. Er bildet den Schlusspunkt unter eine sehr lebhafte Partie. Das Beispiel zeigt auch schön, wie leicht man derartige Züge übersieht. Mein Gegner hatte die betreffende Stellung bewusst angestrebt, dabei aber diese Besonderheit außer Acht gelassen. Auch die zahlreichen Beobachter waren sichtlich überrascht.
Binder – Schulze, Berlin 2003




  Die internationalen Titel im Schach

Der internationale Schachverband FIDE vergibt für herausragende Spieler eine abgestufte Folge von Ehrentiteln, nämlich

Die Titel werden separat für Männer und Frauen vergeben, wobei Frauen auch die Titel der Männer erhalten können. Ein einmal erreichter Titel bleibt auf Lebenszeit bestehen, es sei denn man steigt in die nächsthöhere Kategorie auf.
Entsprechende Titel werden auch für spezielle Spielbereiche vergeben – so im Fernschach, in der Schachkomposition (Konstruktion von Aufgaben) oder im Tandemschach.

Der Titel "Großmeister" wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchlich und zunächst formell an die 5 besten Spieler des Turniers in St. Petersburg 1914 durch den russischen Zaren verliehen. Später schuf die FIDE klare Regeln für die Titelvergabe und ernannte 1950 erstmals 27 Großmeister. 1972 gab es bereits 82 Titelträger und heute sind es ca. 1000. Allgemein nimmt man an, dass etwa einer unter 5000 aktiven Schachspielern den Großmeistertitel erringt.

Die Normen zur Erringung der internationalen Titel sind sehr detailliert geregelt. Man muss sie zweimal in Turnieren erfüllen und dabei eine bestimmte Punktzahl in Abhängigkeit von der durchschnittlichen ELO-Zahl der Gegner erreichen. Außerdem muss der Spieler selbst eine bestimmte ELO-Zahl übertreffen, als Großmeister z. B. 2500. Für den FIDE-Meistertitel und den Meisterkandidaten gibt es keine Turniernormen sondern lediglich die Forderung einer ELO-Zahl (beim FIDE-Meister 2300). Auch auf einigen Umwegen kann man die Titel erringen bzw. eine Teilnorm anerkannt bekommen. So wird der Junioren-Weltmeister automatisch Großmeister, die Medaillengewinner holen den IM-Titel.

An die in Anrechnung kommenden Turniere werden strenge Forderungen (Teilnehmer aus verschiedenen Ländern darunter eine Mindestzahl von Titelträgern, Zeitplan, Bedenkzeit usw.) gestellt.

Sehen wir uns nun an, wieviele Titelträger der oberen Klassen es zur Zeit (Mitte 2009) gibt.

Titelweltweitin Deutschlandin Berlin
Großmeisterüber 1200 (davon 20 Frauen)73ca. 20
Internationaler Meisterca. 3000 (davon ca. 80 Frauen)ca. 200ca. 25
FIDE-Meisterca. 5500ca. 670ca. 60

Den separaten Großmeistertitel der Frauen tragen zur Zeit ca. 250 Spielerinnen.
Die Zahlen für Berlin enthalten auch ausländische Meister in den Berliner Bundesliga-Vereinen.

Schauen wir nun noch auf die aktuelle Zahl der Großmeister in einigen ausgewählten Ländern. (aktualisiert Mitte 2008)

LandGroßmeister
Russland190
Deutschland73
Ukraine70
USA65
Serbien49
Ungarn41
England36
Frankreich36
Israel34
LandGroßmeister
Spanien33
Bulgarien29
Kroatien29
Polen27
Armenien26
Tschechien24
Georgien24
China24
Niederlande22



  Schachlinks

Nun folgen wieder einige Empfehlungen zum Surfen im weltweiten Netz:

URL Erklärung
SF Saarburg
Geschichten, Sprüche, Anekdoten, Cartoons… – Absolut lesenswert und sehr ansprechend präsentiert!
Kinderschach
Die Seite widmet sich vorwiegend dem Schach in den jüngsten Altersgruppen (bis ca. 10 Jahre). Sie wendet sich dabei vorwiegend an Trainer, Lehrer und Eltern.
Schachgeschichte
Der Webmaster ist selbst Leiter einer Schulschach-AG. Auf seiner Seite beleuchtet er eine Reihe von Randthemen, stellt die Weltmeister vor und geht auf künstlerische, psychologische Gedanken ein. Auch seine Sammlungen von Geschichten und Sprüchen sind lesenswert.
Dan Heisman
Die Seite eines angesehenen amerikanischen Schachtrainers. Viele wertvolle Trainingstipps und z. B. auch Hinweise für Eltern von Schachkids. Leider etwas chaotisch aufgebaut… Englisch



  Final Fun

Unser heutiges Fun-Thema hat einen ernsten Hintergrund: Die FIDE-Regeln verbieten jede Benutzung (genau genommen sogar das Mitbringen) elektronischer Kommunikationsgeräte. Insbesondere das Klingeln eines Mobiltelefons wird mit sofortigem Partieverlust bestraft.
Die Gründe für dieses strenge Regiment liegen auf der Hand:

Die Handy-Regel führt aber immer wieder zu mehr oder weniger kuriosen Situationen:

Der erste Prominente, den ein Handy-Klingeln ereilte, war im Jahre 2003 ausgerechnet der damalige Weltmeister Ruslan Ponomarjow (Ukraine). Während einer Partie der Mannschafts-Europameisterschaft gegen den Schweden Agrest klingelte sein Handy und die Partie war damit verloren. Pikanterweise hatte Ponomarjow an diesem Tage Geburtstag – der Anrufer wollte ihm also vermutlich dazu gratulieren. Statt dessen "schenkte" er Ruslans Gegner den Sieg.

Letzte Runde in der Hamburger Landesliga 2006: Die 4. Mannschaft des Hamburger SK kämpfte gegen die Zweite von St. Pauli gegen den Abstieg und lag knapp in Führung. Da klingelte bei Mannschaftsführer Thomas Stark – der eine ausgeglichene Stellung auf dem Brett hatte – das Handy und die Partie war verloren. Letztlich fehlte dieser Punkt zum Klassenerhalt und rettete dem Gegner den Verbleib in der Landesliga.
Doch wer war der Anrufer? Es war ausgerechnet der HSK-Vereinsvorsitzende Christian Zickelbein, eine hoch angesehene und charismatische Gestalt des deutschen Schachlebens. Er war mit der 1. Mannschaft in der Bundesliga unterwegs und wollte eben mal nachfragen, wie sich der Abstiegskampf der Vierten gestaltet…
So schoss also gewissermaßen der Präsident sein eigenes Team aus der Liga.

Auch ich selbst habe schon manchen Handy-Vorfall erlebt, zum Glück waren meine Mannschaftskameraden und ich bislang nicht davon betroffen. Beim Potsdamer Weihnachtsturnier 2005 klingelte in irgendeiner Jacke ein Telefon – sehr laut und mit nicht eben angenehmer Melodie. Man konnte es aber nur auf einen Bereich von vielleicht 3-4 Brettern lokalisieren, der betroffene Spieler blieb cool und ließ sich nichts anmerken – so blieb dem Schiedsrichter nichts als eine allgemeine Ermahnung.

Nachtrag – Juli 2007
Auch mehrere Jahre nach ihrer Einführung findet diese Regel noch ihre Opfer: Die Schweizer Einzelmeisterschaft 2007 wurde durch ein Handy entschieden. In der entscheidenden Partie der letzten Runde klingelte das Mobiltelefon von IM Kaenel und machte dadurch seinen Gegner GM Gallagher zum Sieger und Landesmeister. Das Handy befand sich dabei nicht etwa in der Nähe der Spieler, sondern an ganz anderem Ort innerhalb des Spielsaales, wo es vom Schiedsrichter bemerkt wurde. Weder Kaenel noch sein Gegner hatten das Klingeln vernommen…

Nachtrag – Oktober 2008
Bei der Berliner Blitzmeisterschaft 2008 erwischte es den Spieler, der in der 1. Runde der Vorrunde (Schweizer System) spielfrei war: Sein Telefon klingelte und da er sich im Spielbereich aufhielt, gab es statt des kampflosen Sieges eine "Null" in der Tabelle. Er ist damit wohl der einzige Spieler, der je gegen "spielfrei" verloren hat. Allerdings qualifizierte er sich später doch noch für das Finale.




Hausaufgabe

Nach längerer Zeit gibt es mal wieder eine Hausaufgabe – allerdings nur in Form einer kleinen Knobelei:
Ist es möglich, mit einem regelgerechten Zug ein Doppelschach zu geben, bei dem die ziehende Figur selbst kein Schach bietet?

Die Auflösung folgt in der nächsten Ausgabe.




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Thomas Binder, 2006