Trainingsmaterial Nr. 49

Inhaltsverzeichnis

Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 17
Die Kraft des Doppelschachs
Ein lehrreiches Turmendspiel
Das klassische Qualitätsopfer auf c3
Kleine Vereins-Namenskunde
Nachschlag I
Nachschlag II




Glanzstücke der Schachgeschichte

Bild Reden wir heute zunächst über Willi Schlage (1888 – 1940). Tim Krabbé hat ihn einmal als den einzigen unbekannten Schachspieler bezeichnet, der doppelt unsterblich wurde.
Da ist zunächst die abgebildete Briefmarke von 1979 aus der afrikanischen Republik Mali. Sie stammt aus einer Serie "Große Schachmeister". Als zweifacher Berliner Meister und zweimaliger Dritter der Deutschen Meisterschaft kann er aber schwerlich neben den in diesem Briefmarkensatz abgebildeten Weltklassespielern Aljechin, Bogoljubow und Janowski bestehen. Den Titel "Großmeister" hat er nie erhalten. Auch eine – gelegentlich behauptete – Tätigkeit als Schachtrainer in Afrika ist nicht belegt und eher unwahrscheinlich. So bleibt es ein Mysterium, wie Schlages Porträt auf diese Marke geraten ist.

Weitaus klarer ist hingegen der zweite Grund für Schlages "Unsterblichkeit". Bereits 1910 gewann er im B-Turnier der Deutschen Meisterschaft eine Partie, deren Schlusswendung sehr effektvoll ist. Deshalb wählte sie 1968 der Regisseur des Science-Fiction-Films "2001: Odyssee im Weltraum" aus, um eine Schachpartie zwischen dem Computer HAL9000 und dem Astronauten Frank Poole darzustellen. Der Computer setzt hier den Menschen matt – damals noch eine Utopie, 30 Jahre später Realität. Auch kulturhistorisch sicher eine bemerkenswert frühe Referenz auf das moderne Computerschach.

Doch nun zur Partie:
Rösch – Schlage, Hamburg 1910

Von den deutschen Meisterspielern der Vergangenheit nun zu jenen der Gegenwart. Der folgende Schnappschuss aus der Deutschen Meisterschaft 2009 zeigt den Sieg des neuen Titelträgers Arik Braun gegen seinen Vorgänger Daniel Fridman.
Braun – Fridman, Deutschland 2009

Eine eindruckvolle Kombination aus Damenopfer, "stillem Zug" und phantasievollen Mattbildern der Leichtfiguren gelang in der folgenden Partie dem ukrainischen Großmeister Alexander Subarew.
Subarew – Lechtynsky, Tschechien 2006

Nun zu einer weiteren spektakulären Partie. Die Großmeister Iwantschuk und Jussupow trafen 1991 im Viertelfinale des Kandidatenturniers zur Weltmeisterschaft aufeinander. Nach unentschiedenem Match brachte diese Partie die Entscheidung im Stichkampf.
Jussupow wird darin für ideenreiches und mutiges Angriffsspiel belohnt, auch wenn wir sehen werden, dass sich Weiß besser verteidigen konnte.
Iwantschuk – Jussupow, Brüssel 1991
Inzwischen gibt es in der Literatur und im Internet unzählige Analysen dieser Partie. Doch deren ungeheure Komplexität bleibt nach wie vor eine Herausforderung und es sind selbst mit Computerhilfe gewiss noch längst nicht alle ihre Geheimnisse entdeckt.




Die Kraft des Doppelschachs

Jeder Schachspieler hat schon erfahren (müssen), welche enorme Kraft von einem Doppelschach ausgeht. Auch wir haben in vorhergehenden Lektionen bereits zahlreiche Kombinationsmotive gesehen, die auf einem Doppelschach basierten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, erinnere ich an das erstickte Matt, das Libellenmatt, die Turm-Läufer-Batterie oder die "Rolltreppe".
Die besondere Wirksamkeit eines Doppelschachs beruht darauf, dass der angegriffene König ziehen muss. Die beiden anderen sonstigen Optionen – Schlagen der schachgebenden Figur und Dazwischenziehen – kommen hier nicht in Frage. So kann man oft auch eine der angreifenden Figuren in den Schlagbereich des Gegners stellen, wo es sonst viel zu riskant für sie wäre.

Wir wollen heute einige hübsche Doppelschach-Entscheidungen abseits der bekannten Muster aufspüren. Sie regen unsere Phantasie an, im richtigen Moment nach einer solchen Möglichkeit zu suchen.

Das erste Beispiel entstammt einer eigenen Turnierpartie.
Krüger – Binder, Berlin 2007

Nun zu den großen Meistern. Auch sie haben das Mittel des Doppelschachs natürlich in ihrem Repertoire.
Wir sehen zunächst zwei der besten Spieler ihrer Zeit.
Barcza – Bronstein, Budapest 1949

In der folgenden Partie ist das Doppelschach der entscheidende Schritt, einen klaren Vorteil zu verwerten. Für den Verlierer war es einer von wenigen Verlusten im Turnier, welches er trotzdem auf dem 1. Platz beendete.
Fridstein – Aronin, Moskau 1949

Recht häufig sieht man Doppelschachs, bei denen mit einem Turmopfer der letzte Schutz des Königs beseitigt wird. Das Matt lässt dann meist nur sehr kurz, manchmal auch etwas länger auf sich warten. Wenn der Angreifer richtig gerechnet hat, erntet er bald die Früchte seiner Arbeit. Im Gegensatz zu vielen ganz trivialen Matts sollen die beiden nächsten Partien hierzu einen Eindruck vermitteln.
D'Amore – Dzhumaev, Schacholympiade 2000
Shchekachev – Bitman, Russland 1992




Ein lehrreiches Turmendspiel aus der BJEM

Bei der Berliner Meisterschaft der Jugend 2009 wurden wir Zeuge vieler interessanter Endspiele. Über alle Altersklassen gesehen, wurde fast jede fünfte Partie in einem Turmendspiel entschieden. Ein besonders lehrreiches Endspiel lieferten sich zwei Spieler, die am Ende in der erweiterten Spitzengruppe der Altersklasse U14 einkamen.
Es wird uns mindestens folgende Erkenntnisse einmal mehr vor Augen führen:

Ausführliche Analysen dieses Endspiels befinden sich in einem eigenen Dokument:
Ein lehrreiches Endspiel aus der Berliner Meisterschaft U14




Das "klassische" Qualitätsopfer auf c3

Bild Qualitätsopfer – also das Opfer eines Turmes für eine Leichtfigur – sind uns schon häufig begegnet.
Als besonders typisches Motiv ergeben sie sich oft in Stellungen mit halboffener c-Linie, wie sie z. B. für die Sizilianische Eröffnung typisch sind.
Dabei gibt es im wesentlichen zwei Zielstellungen für den Angreifer:

Im ersten Beispiel gewinnt der populäre Jugoslawe Braslav Rabar (1919 – 1973) gegen den Italiener Castaldi. Beide Spieler gehörten zu jener Zeit zu den führenden Meistern ihrer Heimatländer.
Castaldi – Rabar, München 1954
Wenn zur Beherrschung des Zentrums auch noch eine bereits geschwächte Stellung des gegnerischen Königs kommt, ist die Aufgabe des Angreifers nicht so schwer.
Müller – Grünberg, Deutschland 1972

Eine Kurzpartie liefern uns zwei ungarische Großmeister, die auch noch auf den gleichen Familiennamen hören. Nach dem Einschlag auf c3 koordiniert Schwarz die Beherrschung des Zentrums und den Angriff am Königsflügel sehr effektiv.
A. Horvath – J. Horvath, Ungarn 1998

Sahen wir bisher also die Zerstörung des gegnerischen Zentrums, richtet sich der Angriff nun gegen die Rochadestellung von Weiß. Als Zugabe sehen wir das thematische Qualitätsopfer auf c3 gleich in doppelter Ausführung.
Bibikow – Walschin, Moskau 1954

Zum Schluss wollen wir uns überzeugen, dass dieses Motiv auch vom Weißen gespielt werden kann. Es ergibt sich dann in der Regel aus Eröffnungen mit frühem c2-c4, wie der Englischen Verteidigung.
Podgajez – Kupreitschik, Sowjetunion 1972




Kleine Vereinsnamenskunde

Es ist manchmal ganz unterhaltsam, sich die Namen von Schachvereinen anzusehen. Einige (wenn auch wenige) ragen dabei aus dem grauen Einerlei der "Schachklub", "Schachverein" und "Schachfreunde" heraus.
Unter den auch bei anderen Sportvereinen üblichen Farbkombinationen nach den Vereinsfarben ist im Schach naturgemäß der Klub "Schwarz-Weiss" recht häufig vertreten – so häufig, dass unlängst ein Funktionär bei einer Siegerehrung das Kürzel "SW" ganz selbstverständlich als "Schwarz-Weiss" aussprach, obwohl es im konkreten Fall für die geographische Bezeichnung "Südwest" stehen sollte.

Reiche Auswahl für mehr oder weniger phantasievolle Prägungen hat man bereits, wenn man sich auf die sechs Schachfiguren beschränkt. Vor allem der agile Springer wird gerne als Namenspatron gewählt.: Königsspringer, Schwarzer Springer, Blauer Springer (nanu), Randspringer, Jolly Jumper und Röss'l.
Der Turm animierte Vereinsgründer zu Eckturm, Weißer Turm oder Ladja, was die russische Entsprechung ist.

Während König und Läufer in der Deutschen Schachszene fast nur unverfälscht auftreten und auch die Dame nur mit den beiden Farbzusätzen vorkommt, gibt der Bauer noch etwas mehr her: Damenbauer, Doppelbauer, Randbauer, Eckbauer und Freibauer sind gebräuchliche Vereinsnamen.
Hin und wieder bemerkt man auch Kombinationen aus Figur und geographischer Bezeichnung. Hier gefällt mir der Inselspringer besonders gut. Man kann sich bildhaft vorstellen, wie er so von Inselchen zu Inselchen hüpft…

Auch viele andere Begriffe aus dem Schach-Alltag geben dankbare Vereinsnamen ab – eine kleine Auswahl: Zugzwang, Rochade, Caissa, Schachbrett, Gardez, en Passant, Rösselsprung, Patzer, Königsjäger, Stiller Zug, Gambit, Königsflügel, Tempo, Zeitnot, "Zug um Zug". Ein deutscher Schachverein führt übrigens auch den Namen Chaos

Wieder andere Vereinsgründer drücken ihre Bewunderung für große Meister der Vergangenheit aus, indem sie deren Namen als Vereinstitel adoptieren: Lasker, Tarrasch, Anderssen, Reti oder Steinitz gehören zu den besonders beliebten Vorbildern.

Die in vielen Sportarten übliche Modewelle der Vereinsbezeichnung mit Tiernamen hat auch unser Spiel erreicht. So kann es schon sein, dass man im Turnier gegen Schachpinguine, Schachelschweine, Chess Tigers, Schachfüchse oder Schach-Drachen antreten muss.

Auch der Humor kommt in diesem Umfeld nicht zu kurz: Der saarländische SV Sulzbach verfolgte seine Wurzeln bis zum Schachklub "Blaue Wolke", dessen Gründungsprotokoll aus dem Jahre 1912 in feinster altdeutscher Sütterlin-Handschrift vorlag. Da müsste man eigentlich misstrauisch werden, aber erst als sich jemand fand, der diese Schrift genau entziffern konnte, wurde der Irrtum bemerkt: Das Dokument handelt von einem Rauchklub dieses passenden Namens…

Zum Schluss nun die total subjektive Hitliste der schönsten deutschen Schach-Vereinsnamen:

Und als (subjektiv) krönendes Highlight die

Nachtrag, August 2010: Ein Leser dieser Seite steuert eine nette Ergänzung bei: Als für einen Berliner Schachverein die Umbenennung ins Haus stand, wurde der Name Lichtenberger Damenfänger vorgeschlagen. Leider verfiel diese Idee der Ablehnung. Man hatte wohl Angst, dass die Konzentration auf das Schachspiel darunter leiden könnte…

Weitere Ergänzungen sind gern willkommen.




Nachschlag I

In Ausgabe 35 haben wir erfahren, wie verschiedene Autoren den Begriff der Schönheit im Schach definierten. Der Psychologe S. Margulies versuchte, diese Fragestellung experimentell zu lösen. Er legte 30 Schachmeistern eine Reihe von Stellungen vor, die jeweils paarweise gewisse Ähnlichkeiten aufwiesen. Man sollte nun entscheiden, welche der Zugfolgen man als "schöner" empfindet. Als Verallgemeinerung der Ergebnisse kam Margulies zu 6 Kriterien für schöne Schach-Ideen. Sie decken sich zum Teil mit den uns bereits bekannten Ansätzen, teilweise ergänzen sie diese oder widersprechen sogar.




Nachschlag II

Auch heute werfen wir einen Blick zurück auf bereits besprochene Themen und möchten diese mit neuen Ideen ergänzen.

In Trainingseinheit 14 hatten wir Kurzpartien gesehen, in denen die Rochade als finaler Gewinnzug vorkam. Die Wendung aus der dortigen Partie Dunbar – Schawkin kam häufiger vor. Als ältestes Beispiel ist die hier vorgestellte Kombination anzusehen. Nach ihrem Sieger wird die Idee inzwischen gelegentlich als Thornton-Falle bezeichnet.
Thornton – Boultbee, Kanada ca. 1884

Der Berliner Jugendspieler Maxim Maslov fand in einem Mannschaftskampf eine überraschende Gewinnführung, die auf einem ungewöhnlichen Zugang zum Rasenmäher-Matt (siehe Trainingseinheit 45) basiert.
Zeiske – Maslov, Berlin 2008

Wir bleiben bei starken Berliner Nachwuchsspielern. Hier ein amüsantes Beispiel für die Kraft des Läuferpaars (siehe z. B. Trainingsmaterial 26).
Münch – Sivakumaran, Berlin 2009




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Thomas Binder, 2009