Trainingsmaterial Nr. 68

Inhaltsverzeichnis

Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 28
4 x 4 im Quizformat
Bildhafte Begriffe am Schachbrett – Folge 6
Der Röntgenangriff
Eröffnung intensiv – Folge 19
Nachschlag




Glanzstücke der Schachgeschichte

Partien, die durch ein Damenopfer gekrönt werden, gelten zu Recht als das Highlight jedes Schachturniers. Sie sind umso wertvoller, je komplizierter die Berechnung der Folgen ist.
Das alles hat unser folgendes Beispiel zu bieten – und noch viel mehr: Der für Spanien spielende Großmeister Schirow setzt gleich zweimal auf dem selben Feld und mit den gleichen Motiven zum Damenopfer an.
Wir teilen die Erläuterung auf zwei Partiefragmente auf.
Dvirnyy – Schirow (Variante), FIDE-Online-Olympiade 2020
Dvirnyy – Schirow (Partieverlauf), FIDE-Online-Olympiade 2020

Noch viel komplexer wird es in der nächsten Partie. Das Urteil darüber, ob das weiße Damenopfer korrekt war, ist noch immer nicht vollständig gefällt. Ja – die Partie wird immer wieder als Beispiel dafür zitiert, dass selbst leistungsfähigste Schachprogramme in manchen Situationen noch der menschlichen Intuition hinterher hinken.
Gussew – Auerbach, Sowjetunion 1946
Vielleicht war es schwer, hier den Überblick zu behalten. Es gibt aber ein paar Motive, die in allen Varianten wieder vorkommen. Es lohnt sich, diese Partie sehr aufmerksam zu studieren, weil man immer besser in die Geheimnisse der Stellung eindringt.

Held unserer nächsten Partie ist der zu Unrecht in Vergessenheit geradene amerikanische Weltklassespieler Isaac Kashdan (1905 – 1985). Er gewann mit dem US-Team drei Schacholympiaden, spielte dabei in zwei Turnieren am Spitzenbrett. Seine aufregendste Partie hingegen stammt aus einem weniger bedeutsamen Turnier und fehlt sogar in den großen Datenbanken. Sicher zeigt der Gegner an einigen Stellen nicht die perfekte Gegenwehr, doch das Opfer von Läufer, beiden Türmen und der Dame für ein Matt mit beiden Springern ist schon sehenswert.
Siff – Kashdan, New York 1933




4 x 4 – Im Quiz-Format

Weiter geht es im beliebten Quizfomat. Bitte löst auch diesmal die Aufgaben "vom Blatt" ohne Computerhilfe und möglichst auch ohne Schachbrett.

  1. Dieses Endspiel sollte bei richtigem Vorgehen beider Seiten remis ausgehen. In der vorliegenden Stellung hat Weiß vier Züge zur Auswahl. Wie sind diese zu bewerten? Was sollte Weiß spielen?
    1. Se4xf6
    2. Ta1–c1
    3. Kf1–e2
    4. Te1–e3
  2. Weiß hat gerade seinen Bauern nach e7 gezogen.
    1. Die Partie wird remis enden.
    2. Es ist für Schwarz an der Zeit aufzugeben.
    3. Weiß wird gewinnen, doch Schwarz hat noch ein paar Ideen zu Verteidigung.
    4. Schwarz kann sogar noch gewinnen.
Bild Bild
Aufgabe 1 Aufgabe 2
  1. In dieser Stellung ist Weiß am Zug. Er kann einen kleinen aber wichtigen Vorteil erlangen. Wie soll Weiß fortsetzen?
    1. Sf1–g3
    2. Df4xf6+
    3. Kf2–e3
    4. Sf1–d2
  2. In dieser Stellung ist Weiß am Zug. Wie soll er fortsetzen?
    1. a2–a4
    2. a2–a3
    3. Ka5–a4
    4. Alle genannten Züge sind gleichwertig.
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Aufgabe 3 Aufgabe 4
Die Lösungen

Bitte erst in die Lösungen schauen, wenn ihr euch für eine der Antworten A – D entschieden habt.

Aufgabe 1: Binder – Tonke, Berlin 2020
Aufgabe 2: Analyse von Boris Gelfand
Aufgabe 3: Donchenko – Janik, Polen 2021
Aufgabe 4: NN – Binder, Online-Partie 2021




Bildhafte Begriffe am Schachbrett

Die beiden Bilder, mit denen wir uns heute kurz beschäftigen wollen, bezeichnen Schach- oder sollten wir sagen "Denk"techniken, die in vielerlei Stellungstypen eine Rolle spielen können. Sie haben eine gewisse Gemeinsamkeit, die vielleicht darin besteht, dass sich eine angegriffene Figur anders verhält, als man bei der Variantenberechnung vorausgeahnt hat. Aber, seht selbst…

Ein Eröffnungsmotiv, das uns eigentlich geläufig sein sollte, gewinnt an Prägnanz, wenn man sich den Begriff Gummibandmotiv dafür einprägt. Der Gegner verlässt die vorausgeahnte Schlagfolge und schlägt mit der gerade gezogenen Figur zurück. Der Begriff wird dem britischen Großmeister Murray Chandler zugeschrieben.
Gummibandtrick in der Französischen Eröffnung
Gummibandtrick (Lehrbuchstellung)

Was meint der Schachspieler, wenn er von einem Desperado spricht? Der Begriff hat ja auch im allgemeinen Sprachgebrauch seine Bedeutung. Die allwissende Internet-Enzyklopädie schreibt dazu "Im weitesten Sinne bezeichnet das Wort einen Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat und entsprechend rücksichtslos handelt." Ersetzen wid den Menschen durch eine Schachfigur, so sind wir unserem Thema schon recht nahe. Eine unrettbar verlorene Figur opfert sich so, dass sie noch maximalen Schaden beim Gegner anrichtet. Kann man dies schon als allgemeinen Grundgedanken betrachten, so kommt es auch als aktiv eingesetztes Angriffsmittel zum Einsatz.
Wir sehen zwei Beispiele, in denen beide Seiten vom Desperado-Motiv Gebrauch machen, bzw. hätten machen können. In der ersten Stellung spielt ein bekannter englischer Großmeister gegen ein frühes Computerprogramm.
Miles – Deep Thought, USA 1989
Skovgaard – Haubro, Dänemark 1998




Der Röntgenangriff

Genau genommen passt dieser Abschnitt noch in den vorhergehenden, haben wir es doch erneut mit einem einprägsamen bildhaften Begriff zu tun. Allerdings ist die Bedeutung der Röntgenwirkung so groß, dass wir ihr ein eigenes Kapitel widmen wollen. Es geht darum, dass eine langschrittige Figur (Dame, Turm oder Läufer) gewissermaßen wie ein Röntgenstrahl durch andere Figuren hindurch blickt und dahinter liegende Felder angreift bzw. beschützt. Wir haben einen solchen Effekt schon bei dem wichtigem Endspiel der Dame gegen einen Bauern auf der vorletzten Reihe ausgenutzt. Hier soll es um Angriffsmotive mit Hilfe des Röntgenblicks gehen. Die Zusammenstellung der Beispielpartien entnehme ich einem vorzüglichen Trainer-Lehrbuch von Großmeister Thomas Luther.
Lehrbeispiel
Sakajew – Turikow, Russland 2015
Fischer – Bisguier, USA 1963
Tisdall – Polgar, Island 1988




Bild Eröffnung intensiv – Stafford-Gambit

In den Zeiten der Corona-Pandemie hat sich viel schachliche Aktivität ins Internet verlagert. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dort ein anderes Schach gespielt wird, als im "richtigen Leben". Neben den kurzen Bedenkzeiten und den rein handwerklichen Besonderheiten des Online-Schachs begegnet man dort auch Spezialisten für bestimmte Eröffnungen, die im klassischen Turnierschach kaum zu sehen sind.
Zu diesen Spezialeröffnungen gehört das Stafford-Gambit.
Es entsteht, wenn Schwarz in der Russischen Verteidigung nach den normalen Zügen 1.e2-e4 e7e5 2.Sg1-f3 Sg8-f6 3.Sf3xe5 den auf den ersten Blick merkwürdigen Zug 3… Sb8-c6 spielt.
Bei der ausführlichen Betrachtung werden wir uns zunächst die Fallen anschauen, auf denen dieses Gambit beruht und widmen uns dann den vorbeugenden Spielweisen von Weiß.

Sehen Sie die Einzelheiten in einem eigenen Dokument: Das Stafford-Gambit




Nachschlag

Aus Trainingseinheit 52 sind uns typische Springeropfer auf dem Feld b5 vertraut, die sich häufig aus der Sizilianischen Eröffnung ergeben.
Jüngst gab es dieses Motiv in einer Aufsehen erregenden Partie zu bestaunen, bei der ausgerechnet der aktuelle Weltmeister auf der Verliererseite saß. Wir schauen uns weite Phasen der Partie an, denn sie hatte mehrere interessante und lehrreiche Aspekte.
Esipenko – Carlsen, Niederlande 2021

Beyens Trick haben wir im 58. Trainingsmaterial kennengelernt. Jetzt lief mir die Partie zweier Weltklassespieler aus den 1960er Jahren über den Weg.
Awerbach – Kortschnoi, Sowjetunion 1965

Ein wichtiges Thema der 61. Ausgabe unseres Trainingsmaterials war die Dominanz. Meist wird eine Leichtfigur beherrscht und vom Spiel ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall trifft es hingegen die stärkste Figur. Trotz scheinbar offenem Feld dominieren Turm und Springer in perfektem Zusammenspiel die Dame.
Studie von A. Troitzky, 1910




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Thomas Binder, 2021