Eröffnung Intensiv – Das Muzio-Gambit

Das Muzio-Gambit ist eine der ältesten Eröffnungen überhaupt. Es wurde bereits um 1630 von den italienischen Meistern um Polerio und Salvio analysiert. Über seinen Entdecker, den napolitanischen Meister Muzio d'Alessandro ist nur sehr wenig bekannt.

Das Muzio-Gambit entsteht, wenn Weiß im Königsgambit nach 1.e2-e4 e7-e5 – 2.f2-f4 e5xf4 – 3.Sg1-f3 g7-g5 – 4.Lf1-c4 g5-g4 den angegriffenen Springer nicht nach e5 zieht, sondern einfach stehen lässt. Von diesem Opferangebot verspricht sich der Anziehende einen deutlichen Entwicklungsvorteil und Angriffsmöglichkeiten gegen den bereits etwas geschwächten Königsflügel.
Hier zunächst die einleitenden Züge der Hauptvariante:
Einleitende Züge des Muzio-Gambits

Das Ghulam-Kassim-Gambit

Diese Variante, die nach einem indischen Schachspieler des 19. Jahrhunderts benannt wurde, ist sozusagen der kleine Bruder des Muzio-Gambits. Sie ist nur von geringer Bedeutung, da die Aussichten für Weiß im eigentlichen Muzio-Gambit noch besser sind. Dennoch kommen auch hier die typischen Angriffsmuster aufs Brett und der Partieverlauf ist dem des lupenreinen Muzio-Gambits sehr ähnlich. Wir kennen das Ghulam-Kassim-Gambit bereits aus der Einleitungspartie von Marcus Mejstrik.

Im Ghulam-Kassim-Gambit stellt Weiß die Rochade (und damit die Aktivierung seines Turmes) zurück und setzt dafür den Bauernvorstoß e4-e5 ohne ein weiteres Opfer durch.
Drei Kurzpartien sollen uns mit dieser Variante vertraut machen:
Kan – Siomushkin, Ukraine 2005
Dabo Peranic – Djermic, Kroatien 1994
Gertosio – Legoupil, Frankreich 2005
Die Statistiken aus den großen Datenbanken belegen übrigens, dass die weißen Aussichten in der praktischen Partie im Ghulam-Kassim-Gambit genauso hoch sind wie im eigentlichen Muzio-Gambit.

Das Muzio-Gambit mit Einschlag auf f7

In der uns bekannten Grundstellung hat Weiß zwei prinzipielle Möglichkeiten. Betrachten wir zunächst die Idee, sofort auf f7 einzuschlagen. Nach 8… Ke8xf7 9.d2-d4 muss sich Schwarz zwischen den Damenzügen nach d4 und f5 entscheiden. Heutzutage gilt 9… De5-f5 als sicherer. Im Falle von 9… De5xd4+ hat Weiß eine hübsche Erwiderung, wonach er starken Angriff erlangt. Wir sehen das in einer Jugendpartie des späteren Weltklassespielers Alexej Schirow.

Die Dame schlägt auf d4 mit Schach

Unter Ausnutzung einer Fesselung kann Weiß mit Tempogewinn eine weitere Figur entwickeln.
Schirow – Lapinski, Lettland 1990

Die Dame zieht in die f-Linie zurück

Heute gilt diese Fortsetzung als klar besser. Doch auch hier kann der weiße Angriff eindrucksvoll durchschlagen, wenn Schwarz seine Probleme nicht schnell genug in Griff bekommt.
Kraus – Metzing, Deutschland 1995

Die beiden eindrucksvollen Partien haben gezeigt, wie schwierig es für Schwarz ist, sich in dieser halsbrecherischen Variante korrekt zu verteidigen. Die Theoretiker mögen das Opfer auf f7 für ungenügend halten – im praktischen Kampf sind die Chancen von Weiß ausgezeichnet. Das belegen übrigens auch die statistischen Daten, die eine um gut 10% höhere Erfolgsquote für Weiß belegen, als in anderen Varianten.

Die Fortsetzung 8.d2-d3

Wie wir bereits wissen, muss sich Weiß im 8. Zug um die Bedrohung seines Läufers sorgen. Daher sind seine Möglichkeiten recht stark eingeschränkt. Neben dem Opfer auf f7 wird vorwiegend der Zug 8.d2-d3 gespielt. Weiß entwickelt seine Figuren planmäßig weiter und baut auf die langfristige Durchschlagskraft seines Angriffs. Der neueste Stand der Theorie mündet (leider) in die Erkenntnis, dass es für beide Seiten am besten sei, eine Zugfolge zu spielen, die zu einem schnellen Dauerschach führt.
Keene – Pfleger, Spanien 1974
Wenn Schwarz sich in dieser Variante nicht genau auskennt, wird er schnell und schmerzhaft zerlegt, wie es einem Simultangegner des englischen Weltmeisters Staunton vor langer Zeit erging.
Staunton – NN, London 1850

Fazit

Die vorstehenden Beispiele sollten keine komplette Analyse des Muzio-Gambits und seiner Verwandten bieten. Viel mehr ging es darum, zu zeigen, wie Weiß seinen Entwicklungsvorsprung typischerweise umsetzt und erfolgversprechenden Angriff erhält. Die praktischen Ergebnisse sprechen mit einer Erfolgsquote von ca. 60% auf jeden Fall dafür, dass es sich lohnt, diese Geheimwaffe zu kennen und im passenden Moment auszuprobieren.




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Thomas Binder, 2007