Bild Aus der Jubiläumsschrift von 1974 (IV)

Dietrich Frische

Einiges über den Schachklub "Werner Siemens"

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Kurz nach dem 1. Weltkrieg – um 1920 – als ich nach Siemensstadt bei Berlin – wie es damals hieß – kam, bestand der Schachklub "Werner Siemens" bereits. Damals hatten sich von diesem Klub wegen irgendwelcher Differenzen einige Mitglieder losgelöst und einen eigenen Schachklub mit dem Namen "Damenbauer" gegründet, dem ich beitrat. Der Verein "Damenbauer" nahm im Gegensatz zu "Werner Siemens" auch nicht der Firma Angehörige auf, so daß immerhin eine passable Anzahl Schachspieler zusammenkam. So bestanden beide Vereine nebeneinander und zwar in voller Eintracht als Mitglieder des Berliner Schachverbandes, mit häufigen Wettkämpfen gegeneinander, bei denen natürlich stets der größere und stärkere Schachklub "Werner Siemens" dominierte. Das ging bis Anfang der 30er Jahre so. Als Hitler an die Macht gekommen war, änderte sich wie vieles andere auch im Schachleben die gesellschaftliche Struktur. Schon in der "Brüningzeit" mit ihrer Massenarbeitslosigkeit schrumpfte der Verein "Damenbauer" mächtig zusammen. Die neue Bewegung aber riß Menschen an sich, spaltete Kräfte ab, die der nicht so krisenfesten Damenbauer-Gemeinschaft fühlbar zu fehlen begannen, 1934 war Schluß. "Werner Siemens" existierte weiter und eine Anzahl Schachspieler, darunter auch ich, gingen zu Siemens als willkommener Zuwachs über. Und es mußte erst der große 2. Krieg und der anscheinend alles endende Zusammenbruch kommen, um auch hier einen Schluß, zumindest eine Unterbrechung, zu bringen.

Angefangen hatte der Schachklub "Werner Siemens" am 1. Februar 1919. Hauptinitiator war der erste Vorsitzende Dr. v. Tietze, späteres Ehrenmitglied. Ob auch diese Schachorganisation eine Vorgängerin vor dem 1. Weltkrieg hatte, die dann die Stürme dieses Krieges nicht durchzustehen vermochte, wird wohl mangels Zeugenschaft unermittelt bleiben. Die Mitgliederzahl wird für 1919 bereits mit 46 angegeben, für einen neugegründeten Schachklub eigentlich auffällig hoch. Und auch der Zuwachs bis 1929 von etwa 20 Mitgliedern steht in einer deutlichen Auffälligkeit zum ersten Sprung von 0 auf 46. Ich bin deshalb der Ansicht, den Anfang des "Schachs im Hause Siemens" eine Zeitspanne vor dem 1. Weltkrieg zu suchen. Es ist schade, daß uns Herr Dr. v. Tietze nicht darüber berichtet hat, ob er nach diesem Krieg Zerschlagenes gesammelt und geeint hatte, oder ob er wirklich 46 "wilde Schächer" unter einem Dach vereinte.

Seit Mitte der 30er Jahre bewegte sich die Mitgliederzahl um 100. Unter ihnen sind Mitglieder der Jubilarin zu finden wie: Georg Lübeck (seit 1921, verst. März 1974), Johannes Janzen (seit 1922), Otto Preuß (seit 1923), Friedrich Vogt (seit 1934) und Alfred Schwenk (seit 1938). Über ein Jahrzehnt stand dem Schachklub "Werner Siemens" das Mitglied Georg Rohrbach vor, ein rühriger Vorsitzender, der sich und seine Möglichkeiten einzusetzen verstand, das Vereinsleben recht gut in Schwung zu halten. Ihm hat der Schachklub viel zu danken. Und, obwohl Parteigenosse, beteiligte er sich doch sehr an dem Widerstand des 1. Vorsitzenden des Brandenburgischen und Berliner Schachverbandes, E. Post, gegen die parteipolitische Eingliederung in die NS-Schachgruppe. Die Gesamtmobilmachung vom September 1939 setzte dem politischen Druck Schranken, so daß die benannten Schachverbände bis zuletzt in traditioneller Form auch das "1000jährige Reich" überstanden.

Von diesen Schachverbänden wurden wie heute die intervereinsmäßigen Wettkämpfe wie regionale Meisterschaften und Mannschaftskämpfe ausgeschrieben und überwacht. Die 1. Mannschaft des "Werner Siemens" stand festen Fußes in der Bezirksklasse, mehrfach auf dem Sprung zur Bezirksmeisterschaft, die dann aber wohl doch immer von einer besseren Mannschaft – die Annalen sprechen von dem ewigen Rivalen "Lorenz" – abgestritten wurde.

Der Schachklub "Werner Siemens" hat in den 25 Jahren seines Spielbetriebes schicksalhafte Wechselfälle durchlebt. Umstürzlerisches ist ihm aber ferngeblieben. Für eine gewisse Temperiertheit sorgte schon der Schirmherr mit dem dafür zuständigen Organ, dem Siemens-Beamtenverein, der wie heute der Kulturkreis e.V. der Träger seiner einzelnen Gruppen war. Dem Bemühen um ein Spiellokal, um finanzielle Mittel und sonstige Möglichkeiten hatte dieser Träger wesentliche Beihilfe zukommen lassen. Das Haus Siemens stellte unmittelbar noch einen hochgestellten Protektor bei – für die Schachgruppe Herr v. Buol – (nach ihm wurde eine Straße in Siemensstadt benannt), der sich auch wirklich um sein Protektionskind durch Besuche, Anteilnahme und Geldzuwendungen bekümmerte.

Unter diesem Schirm ließ es sich schon verhältnismäßig sorgenfrei leben. Da nun auch die Zugehörigkeit zum Hause Siemens Bedingung der Mitgliedschaft war und zudem die überwältigende Mehrheit der Mitglieder zu den "Gehaltsempfängern" zählte, litt der Klub keinen Notstand. Die davon ausstrahlende Nestwärme zog an, wovon die Mitgliederzahl profitierte.

Es versammelten sich mittlerweile eine Anzahl guter Schachspieler, die Mitte der 30er Jahre eine breite Spitze mit flüssigen Übergängen stellten. Altmeister Adeler (Teilnehmer u.a. an der Endrunde der Berliner Meisterschaft), "Fritze" Vogt (uns noch als Meisterklassenspieler nach dem 2. Kriege bekannt und angehörend), vor allem auch die alten Kämpen Graf und Schildberg und noch einige andere hielten den Turnierverlauf um die Klubmeisterschaft in Atem. Auch die Positions- sowie die Aufstiegskämpfe der weiteren Klassen waren bei dem geringen Gefälle der Spielstärken immer wieder voller Spannung.

Wie dem Abdruck aus dem Berliner Schachführer von 1931 entnommen werden kann, war die Heimstatt des "Werner Siemens" nicht zu allen Zeiten das heutige Klubhaus Siemens; denn dieses wurde erst inmitten der Hitlerzeit zu dem, was es noch heute ist. Zuvor mußte sich der Werkverein "Werner Siemens" in fremden Siemensstädter Lokalitäten unterbringen, 1931 z. B. im Restaurant "Heidekrug".

Im Mai 1938 beherbergte der Saal, in dem wir heute noch spielen und Gäste empfangen, einen Vergleichskampf mit der Schachvereinigung Eckbauer 1925 (die heutige Schachgesellschaft Eckbauer setzt die Schachtradition der Berliner Schachgesellschaft 1827 und der Schachvereinigung Eckbauer 1925 – siehe Namensbildung – fort). An den ersten 10 Brettern wurde 5:5 insgesamt 17:23 gespielt. Dieses Ergebnis gegen den damaligen Berliner Mannschafts-Vizemeister spricht von der breiten Kampfstärke des "Werner Siemens".

Auf der Mitgliederversammlung vom 13. September 1938 wurde die vermutlich von außen nahegelegte Umbenennung des Schachklubs "Werner Siemens" in Schachgruppe "Werner Siemens" beschlossen. Damit sollte wohl die bestehende Integration zur Dachorganisation namentlich ausgedrückt werden, zumal die übrigen Abteilungen sich auch Gruppen nannten.

Zuvor war schon der Siemens-Beamten-Verein durch die Kameradschaft Siemens e.V. abgelöst worden. Die seit alters und auch nach dem 1. Weltkrieg vorhandene, mit ziemlicher Strenge beobachtete Unterscheidung in bürgerliche und Arbeiter-(Sport)-Vereine ist in der Hitlerzeit mit der dieser Zeit eigenen Gleichrichtung weitestgehend beseitigt worden. Bis 1933 hatte es nämlich zwei Schachverbände gegeben, den Deutschen Schachbund neben dem Deutschen Arbeiterschachverband mit seinen Vereinen, die kaum einen Koordinationspunkt hatten. Im Hause Siemens wurde das Problem mit der Übernahme der Funktionen des Siemens-Beamten-Vereins durch die Kameradschaft Siemens gelöst, und jeder Betriebsangehörige konnte die Einrichtungen der Kameradschaft in Anspruch nehmen.

Der 2. Weltkrieg brach auch in das Vereinsleben des Schachklubs "Werner Siemens" ein. Mit zunehmender Härte dieses Krieges wurde das Durchhalten eines organisierten Spielbetriebes schwieriger. Die Mannschaftsspiele blieben als erstes auf der Strecke. Die Luftangriffe ließen es gewagt sein, abends außerhalb des eigenen Hauses zu weilen. Aufgaben des zivilen Luftschutzes und andere Einsätze verhinderten den Besuch von Spielabenden. Militärdienst und Zivilverpflichtungen rissen die Mitglieder in die Ferne. 1944 wurde der Spielbetrieb vollends eingestellt.

Im März 1944 wurde ein Teil des Schachmaterials an verbliebene Mitglieder gegen Unterschrift zur Aufbewahrung verteilt. Im Oktober wurden bis auf drei Sätze Schachfiguren und zwei Decken, Schachspiele anderweitig – z. B. an Flaksoldaten – abgegeben.

Ende?
Wer wußte damals, was kommt und ob und wie es einmal weitergehen könnte?!?


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Vereinschronik –– Übersicht zur Jubiläumsausgabe 1974