Trainingsmaterial Nr. 37

Inhaltsverzeichnis

Opferklassen – Folge 8
Der Einschlag auf g6 bei gefesseltem Bauer f7
Hausaufgabe
Eröffnung intensiv – Folge 10
Regel-Fragen – Folge 6
Was ist eigentlich …
Schachlinks – Folge 16
Final Fun




  Typische Opfermotive
Heute: Umwandlungsopfer

Die heutige Folge beschäftigt sich mit Opferwendungen, deren Ziel darin besteht, eine Bauernumwandlung zu ermöglichen. Wir haben solche Kombinationen natürlich schon hin und wieder gesehen, wollen hier noch einmal einige instruktive Beispiele genießen.
Dabei kommen sehr verschiedene Opfermotive zum Einsatz – gemeinsam ist ihnen das Ziel.

In der ersten Partie sehen wir eine sehr typische Kombination aus Ablenkung und Fesselung. Man begegnet dem Motiv recht häufig und sollte es deshalb unbedingt kennen.
Nedew – Bujupi, Italien 2005
Diese Partie stammt aus dem Europapokal der Vereine. Aber ich habe diesen Gewinnweg auch selbst schon "live" erlebt und konnte mich freuen, dass mein Mannschaftskamerad damit einen wichtigen Sieg errang.

In der Folge sehen wir einige schöne Beispiele, bei denen es weitreichend berechneter Opfer bedarf, um eine entscheidende Bauernumwandlung vorzubereiten. Dabei sind es durchweg absolute Weltklassespieler, deren Ideen wir bewundern dürfen.
Aljechin – Bogoljubow, Dresden 1936
Euwe – Awerbach, Zürich 1953
Tschigorin – Tarrasch, Russland 1892
Salwe – Rubinstein, Polen 1907
Donner – Dückstein, Niederlande 1957




  Einschlag auf g6 bei gefesseltem Bauer f7

Unser heutiges Taktik-Thema ist eigentlich beleidigend einfach. Es handelt sich im Kern ja nicht einmal um eine wirkliche Kombination sondern nur um das Ausnutzen einer absoluten Fesselung. Da überrascht es schon, dass selbst im Turnierschach immer wieder Partien gespielt werden, bei denen ein Spieler (oder beide!) das Motiv übersehen.
Den Anlass zur Aufarbeitung gab eine Partie aus der Berliner Schulschach-Meisterschaft, die ich selbst mit ansehen durfte (oder musste). Reihenweise lässt Weiß die Möglichkeit zum Einschlag auf g6 verstreichen, die abwechselnd zum Remis oder gar zum Sieg gereicht hätte. So ist es kein Wunder, dass er am Ende noch verliert.
Schwedek – Rughöft, Berlin 2005

Was das Übersehen des Motivs betrifft, sind wir in bester Gesellschaft. Zwei Beispiele aus Schach-Olympiaden sollen das verdeutlichen. Das erste stammt aus dem Kampf Simbabwe – Japan bei der Olympiade 1984, das zweite wurde 1990 zwischen Bahrein und Panama gespielt.
Donnely – Shintani, Saloniki 1984
Al Ghasra – Damha, Novi Sad 1990

Wir kennen also nun die Zutaten zum Motiv:

Die Ziele des Einschlags auf g6 lassen sich recht einfach in 3 Gruppen aufteilen:

Sehen wir nun einige eindrucksvolle Beispiele für den Mattangriff:
Hier steht zunächst der Druck auf den Punkt g7 im Blickpunkt:
Lampen – Moilanen, Finnland 1996

Es folgen 2 Beispiele zur Nutzung der offenen g- und h-Linien:
Ward – Yahkind, USA 1992
Carrasco – Jimenez, Spanien 2004

Die wichtigste Verteidigung gegen unser Motiv besteht darin, den fesselnden Läufer anzugreifen oder zu vertreiben. Oft ist damit in der Tat der Angriff zu entschärfen. Doch manchmal behält auch der Angreifer Recht, weil er einen Zug weiter gerechnet hat, so der dänische Jugendmeister in unserem letzten Beispiel:
Aagaard – Brancaleoni, Dänemark 1993

Dass in unseren Beispielen immer Weiß den entscheidenden Schlag anbringt, liegt an der Suchstrategie in der Datenbank. Natürlich ist das Motiv genauso auch mit schwarzem Einschlag auf g3 spielbar.




  Hausaufgabe

Das Konzept der Trainingsmaterialien (ursprünglich für eine regelmäßige Verteilung per Email gedacht) hat sich inzwischen etwas verändert. Deshalb soll vorerst auf "Hausaufgaben" der bisherigen Form verzichtet werden. Es folgen daher heute die Auflösungen der Aufgaben aus den beiden letzten Folgen.

In allen Fällen ging es um taktisch interessante Alternativen zur jeweiligen Partiefortsetzung:

In Folge 35 hatten wir uns 2 spannende Schlussphasen aus lebhaften Partien angesehen.
Beginnen wir mit meiner Partie gegen C. Fischer, wo ich nach schwerem Kampf einen relativ einfachen Gewinn ausließ:
Fischer – Binder, Berlin 1989
Das war gar nicht so schwer. Interessanter ist die Frage, wie Weiß diese Möglichkeit unterbinden konnte.
Fischer – Binder, Berlin 1989
In der Partie gegen Lars Schmidt hätte sich dessen vermeintliche Mattdrohung als Bumerang erwiesen. Unter heftigen Opfern zieht Schwarz den gegnerischen König ins Freie und gewinnt in allen Varianten. Man kann hier nicht einmal alle Möglichkeiten bis ins letzte Detail darstellen, doch sollte Schwarz immer gewinnen.
Richtige Antwort also: C
Schmidt – Binder, Berlin 1989
Ob ich das aber am Brett gefunden hätte?

Und hier die Auflösung der Hausaufgaben aus Folge 36:
Die beiden netten taktischen Kniffe hat sicher jeder "vom Blatt" lösen können – oder etwa nicht?
Hämmerlein – Hannebauer, Berlin 2005
Buggle – Binder, Berlin 2005




  Eröffnung intensiv
Zwei interessante Varianten in der Slawischen Partie

Die slawische Verteidigung ist durch die Züge 1.d2-d4 d7-d5 2.c2-c4 c7-c6 gekennzeichnet. Nach den beiderseitigen Springerentwicklungen 3.Sg1-f3 Sg8-f6 4.Sb1-c3 hat Schwarz die Wahl den Bauern auf c4 zu schlagen oder mit 4. … e7-e6 in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen. Nach dem Schlagen auf c4 steht wiederum Weiß vor der Wahl, den Bauern sofort zurück zu erobern oder mit einem Aufzug des e-Bauern das Spiel zu verschärfen.
Während wir die anderen Abspiele diesmal nur kurz streifen, geht es im Hauptteil um die beiden Varianten, in denen Weiß im 5 Zug den e-Bauern zieht:

Das Trainingsmaterial dazu befindet sich in einem eigenen Dokument:
Tolusch-Geller-Gambit und Aljechin-Variante




  Regel-Fragen: Die Regel 10.2

Im vorigen Training haben wir Regel 9.6 besprochen, die uns davor schützen soll, eine "tote" Remisstellung nach Zeit zu verlieren. Wir haben aber auch ihre Grenzen kennen gelernt, da diese Regel nur in völlig eindeutigen Stellungen zur Anwendung kommt. Hier hilft uns nun Regel 10.2 weiter.
Sie unterscheidet sich von Regel 9.6 zunächst in 3 wichtigen Punkten:

Es ist nun als Remis-Kriterium formuliert, "dass der Gegner keine Anstrengungen unternehme, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen, oder dass die Partie mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen sei…".
Daran entzünden sich oft die Diskussionen und – wie in jedem Sport – ist es dem Fingerspitzengefühl des Schiedsrichters überlassen, die gerechte Entscheidung zu treffen.

Auch hier helfen uns einige Beispiele zum Verständnis weiter:

Ähnlich der dritten Stellung aus der vorigen Folge kann auch hier Schwarz mit einem einfachen Hin- und Herziehen das Remis sichern. Dabei ist es unerheblich was Weiß spielt. In diesen Fällen wird der Schiedsrichter sofort auf Remis erkennen, wenn ihm Schwarz die Remiszüge präsentiert.
Beispiel 1

Kaum komplizierter ist der folgende Fall:
Beispiel 2
Obwohl Schwarz nicht immer die gleichen Züge machen kann, ist das Remis offensichtlich und würde auch von jedem Schiedsrichter anerkannt.

Nun zu einem wesentlich komplexeren Fall:
Beispiel 3
Hier ist der Remis-Anspruch von Schwarz unbegründet. Doch unter Stress und Zeitdruck wird der Schiedsrichter sicher nicht sofort erkennen, dass Weiß die Partie gewinnen kann. Da die Partie nicht offensichtlich Remis ist, muss er weiterspielen lassen. Er wird dann beobachten, ob Weiß versucht, die Partie "mit normalen Mitteln" zu gewinnen, oder nur planlos zieht um eine Zeitüberschreitung zu erreichen. Sollte er diesen Eindruck haben, kann er immer noch auf Remis entscheiden, anderenfalls geht die Partie weiter und findet einen (mehr oder weniger) gerechten Sieger.




  Was ist eigentlich …

… ein Thematurnier
Bei einem Thematurnier werden alle Partien aus der gleichen Eröffnungsvariante heraus gespielt. Die ersten Züge werden also vorgegeben und erst danach setzt die eigentliche Partie der beiden Gegner ein. Üblicherweise wählt man besonders interessante oder gerade aktuelle Eröffnungen.
Thematurniere gibt es vor allem im Fernschach und auf den Internet-Schachservern. Auch als Trainingsmittel im Verein sind sie hin und wieder üblich und sinnvoll. Schließlich wird gelegentlich auch im hochklassigen Turnierschach ein Thematurnier gespielt. So kann man z. B. einen verdienstvollen Spieler ehren, in dem ein Thematurnier zu einer Eröffnung ausgerichtet wird, die er häufig gespielt oder mit wichtigen Ideen bereichert hat.

… Caissa
Caissa ist die Muse oder Göttin des Schachspiels. In unterhaltsamen Texten wird immer wieder auf sie Bezug genommen. Zahlreiche Schachvereine führen den Namen im Titel, begeisterte Schachspieler geben ihrer Tochter diesen Vornamen und eine deutsche Schachzeitschrift heißt "Kaissiber".
Der erste bekannte Name einer Schachgöttin lautet "Scacchia". Er kommt in einem Gedicht aus dem 16. Jahrhundert vor. Daraus wurde dann im Laufe der Zeit "Caissa". Die bekannteste Quelle ist ein Gedicht von William Jones (1746 – 1794). Darin verliebt sich der Gott Mars in Caissa. Um seine Liebe zu beweisen, erfindet er ihr zu Ehren das Schachspiel – wahrlich ein göttliches Geschenk!

… ein Scheinopfer
Von einem Scheinopfer spricht man oftmals dann, wenn es offensichtlich ist, dass der Gegner das angebotene Material nicht schlagen darf, weil er sofort matt gesetzt würde oder wesentlich wertvolleres Material verliert. Wenn man beispielsweise mit dem Turm einen gedeckten Bauern schlägt und bei Annahme des Turmopfers mit einer Springergabel die Dame erobern würde, so wird der Gegner das Angebot dankend ablehnen. So hat man per "Scheinopfer" vermutlich einen Bauern gewonnen – auch nicht schlecht.

… die Abschätzung
Die Abschätzung ist aus dem heutigen Turnieralltag völlig verschwunden. Früher war es üblich, dass Partien in Mannschaftskämpfen nach einer bestimmten Zeit (z. B. 6 Stunden bei 2 Zeitkontrollen) abgebrochen wurden. Wenn es nicht möglich war, eine Fortsetzung der Partie anzusetzen (wie das z. B. in Berlin aufgrund der kurzen Entfernungen getan wurde), gab man die Hängepartie zur Abschätzung an ein Schiedsgericht aus hochklassigen Meistern, deren Urteil von allen Spielern anerkannt wurde. Sie analysierten die Stellung gewissenhaft und legten dann das Ergebnis fest. Dabei wurde ihnen natürlich nicht mitgeteilt, wer eigentlich diese Partie spielte. Die beteiligten Spieler reichten ihre eigenen Analysen ein, die sie mit möglichst ausführlichen Varianten begründeten und beantragten damit ein Ergebnis (Sieg oder Remis). Grundlage der Abschätzung waren diese Analysen, nur sie wurden geprüft. So konnte man nicht dem Geistesblitz eines Großmeisters erliegen, den der tatsächliche Gegner gar nicht gefunden hätte.
Auch im Fernschach waren Abschätzungen üblich, damit nicht einzelne überhängende Partien das Ende eines Turniers um Jahre verzögern. Im Zeitalter elektronischer Medien ist aber auch das nicht mehr erforderlich.

… eine Stammpartie
Als Stammpartie bezeichnet man diejenige Partie, in der eine bestimmte Eröffnungsvariante oder eine neue Kombinationsidee zum ersten Mal im Turnierschach gezeigt wurde. Selbst wenn diese Partien nicht immer vor einem kritischen Blick Bestand haben, sind sie doch historisch bedeutsam. An vielen Stellen der Trainingsmaterialien habe ich deshalb auch gerade die Stammpartien vorgestellt.




  Schachlinks

Bevor wir neue Empfehlungen aus dem Internet betrachten, müssen leider wieder einige der früheren Links korrigiert bzw. gestrichen werden. Das ist aber leider im WWW nicht zu vermeiden – da ist immer Bewegung.

Und hier nun wieder einige neue Empfehlungen:

URL Erklärung
Jesters Game
Jesters Game ist eine Art, Schach zu dritt zu spielen. Die schön gestaltete Homepage bietet einiges Trainingsmaterial dazu. Auch Online kann man es ausprobieren. Auch klassisches Schach kann hier online gespielt und trainiert werden.
Schach-Varianten
Die Seite "Schach in Bremen" bietet neben vielen weiteren interessanten Angeboten auch eine übersichtliche Zusammenstellung einiger wichtiger Schachspielarten.
Exeter – Schachtraining
Umfangreiche und vielseitige Trainingsmaterialien. Hier hat auch der Autor dieses Trainings manche Inspiration erhalten. – Englisch!
Chess Tactics
Hervorragende und ausführliche Erklärung taktischer Motive. Sehr lehrreich und gut gestaltet. Ein unglaublich gutes Angebot! – Englisch!
Killerzug
Online-Trainingsseite für Taktikaufgaben. Bereits mit der kostenlosen Registrierung hat man Zugriff auf eine reiche Auswahl von Aufgaben mit unterschiedlicher Schwierigkeit.



  Final Fun

Mit den Anekdoten über große Schachmeister ist es so eine Sache…
Von Großmeister Bogoljubow (1889 – 1952) wird berichtet, dass er bei einem Turnier in New York die ersten 5 Runden verlor. Danach stand er einem Reporter Rede und Antwort:
Reporter: Was ist mit Ihnen los, in diesem Turnier?
Bogoljubow: Nun, es ist eine schlimme Geschichte. Vor der ersten Runde hatte ich fürchterlichen Streit mit meiner Ehefrau. Da konnte ich mich nicht richtig konzentrieren.
Reporter: Und am zweiten Tag?
Bogoljubow: Da hatten wir uns wieder versöhnt. Sie kochte mir das wunderbarste Lieblingsessen. Das lag mir dann aber schwer im Magen.
Reporter: Aber in der dritten Runde haben Sie wieder verloren.
Bogoljubow: In der Nacht war ein Riesentumult auf der Straße vor unserem Hotel. Ich konnte kaum schlafen.
Reporter: Und in der vierten Runde?
Bogoljubow: Mein Gegner trug eine Lederjacke. Bei jeder Bewegung machte sie ein fürchterliches Geräusch. Das hat mich sehr abgelenkt – verstehen Sie?
Reporter: Ja, und nun die fünfte Partie?
Bogoljubow:Na, ein großer Spieler kann ja wohl auch mal verlieren…

"Typisch Schachspieler" möchte man sagen – aber einiges an dieser Geschichte stimmt wohl nicht, denn

  1. war Bogoljubow nie verheiratet,
  2. war er nur einmal in New York (1924) und spielte dort recht gut,
  3. soll er auf Englisch nur ein einziges Wort gekannt haben: "beer".

Gefunden bei Queensac.com – Übersetzung: Th. Binder




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Thomas Binder, 2006