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Ein lehrreiches Endspiel – Abtausch zum Bauernendspiel
4 x 4 im Quizformat
Schachstrategie in Aktion – schwache Felder vor dem König
Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 32
Endspiel intensiv – Folge 17
Tückische Manöver in der Ecke
Nachschlag
Final Fun
Es ist eine alte Weisheit: Mit dem Abtausch der letzten Figuren und dem Übergang ins Bauernendspiel kann sich der Charakter
der Stellung und der Ausgang der Partie grundlegend wandeln. Die Entscheidung, ob und wie man ins Bauernendspiel übergeht
– man spricht auch von der "Liquidation" – muss also wohl überlegt werden.
Der Autor dieser Zeilen war unlängst an einem besonders drastischen Fall beteiligt – und saß mit Glück auf der
richtigen Seite des Brettes. Mein Gegner traf unter Zeit- und Wettkampfdruck mit Weiß in der abgebildeten Stellung den falschen
Entschluss, so dass ich die Partie sogar gewinnen konnte.
Die Partie war zudem höchst emotional und wichtig: Es war quasi die letzte Partie der Liga-Saison. Mein Sieg sicherte
unserer Mannschaft den Klassenerhalt und verdarb dem Gegner den Aufstieg.
Sehen wir zunächst den tatsächlichen Verlauf der Partie:
Jurkatis – Binder, Berlin 2019 (Partieverlauf)
Eine kleine Vertauschung der Zugfolge hätte im Übergang zum Bauernendspiel einen kleinen Unterschied bedeutet.
Dieser kleine Unterschied aber konnte die Partie zu Gunsten von Weiß retten und hätte unsere Mannschaft zum Abstieg verdammt.
Jurkatis – Binder, Berlin 2019 (Variante)
Den berühmten "kleinen Unterschied" macht die Gegenüberstellung der entscheidenden Stellungen sehr schön deutlich. Für die Abbildung danke ich dem Trainerkollegen Achim Raphael.
Bitte löst auch diesmal die Aufgaben "vom Blatt" ohne Computerhilfe und möglichst auch ohne Schachbrett.
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Bitte erst in die Lösungen schauen, wenn ihr euch für eine der Antworten A – D entschieden habt.
Zu Aufgabe 1 gibt es einige Anmerkungen. Sie wird üblicherweise mit den Namen der beiden Meisterspieler Jacques Mieses
und Ehrhardt Post verbunden und sei 1914 in Mannheim gespielt worden. Vermutlich handelt es sich jedoch um das
Aufeinandertreffen zweier namenloser Klubspieler zur gleichen Zeit in Ludwigshafen. Zeitgenössische Analysen
scheinen zu beweisen, dass die Stellung für Weiß gewonnen(!) sei. Erst 1950 entdeckten der ungarische Großmeister
Szabo und der Südafrikaner Driman unabhängig voneinander die korrekten Abwicklungen zu Remis.
Aufgabe 1: NN – NN, Deutschland 1914 (ursprüngliche Analyse zum Gewinn)
Aufgabe 1: NN – NN, Deutschland 1914 (Widerlegungen zum Remis)
Aufgabe 2: C. Keymer – Zhou, Deutschland 2019
Aufgabe 3: Rosmait – Postler, Berlin 2019
Aufgabe 4: Binder – Nötzel, Berlin 2019
Auch dieses Beispiel stammt aus einem Mannschaftskampf meines Vereins. Für den Mannschaftserfolg brauchen wir aus der letzten Partie noch ein Remis. Der bisherige Verlauf spricht aber eher für Weiß.
In der abgebildeten Stellung bin ich mit Schwarz am Zug. Meine Gegnerin hat ein paar kleine Vorteile angesammelt.
Ihre Dame beherrscht die einzige offene Linie. Sie besitzt das Läuferpaar und wird über kurz oder lang wohl auch meinen
isolierten b-Bauern erobern.
Andererseits gibt es vor dem weißen König einen Komplex schwacher schwarzer Felder (rot markiert). Im Moment ist das noch
nebensächlich – jedenfalls so lange man dies mit einem schwarzfeldrigen Läufer ausgleichen kann. Wird dieser aber
gegen den Springer getauscht, um danach den Bauern b5 zu schlagen, ändert sich die Stellungsbewertung grundlegend.
Sehen wir uns das im Detail an:
Große-Honebrink – Binder, Berlin 2019
Die Titelzeile zitiert einen gleich mehrfach verwendeten Buchtitel und will Fälle verdeutlichen, in denen aus der Eröffnung heraus ein kompromissloser Mattangriff gesucht wird. Dieses Vorgehen wird natürlich nur dann Erfolg haben, wenn der Gegner sich nicht optimal verteidigt. So muss also der Angreifer immer bedenken, nicht alle Brücken hinter sich abzubrechen.
Es ist gewiss kein Zufall, dass unsere Beispiele sich nach scharfem Gambitspiel ergaben.
Morphy – Hampton, London 1858
Schlenker – Katholnik, Schwenningen 2017
Bartsch – Jennen
Die bereits in der Überschrift genannte Regel wird dem deutschen Schachlehrmeister Siegbert Tarrasch (1862 – 1934)
zugeschrieben. In der Regel wird sie etwas genauer formuliert: "Der Turm gehört hinter den Freibauern – hinter den
eigenen, um ihn zu unterstützen – hinter den gegnerischen, um ihn aufzuhalten."
So einfach diese Regel anmutet, sie ist im Endspiel oft eine wichtige Entscheidungshilfe für die richtige Aufstellung unserer
Figuren. Natürlich gibt es – wie bei jeder Regel – auch hier Ausnahmen, davon wollen wir heute aber einmal absehen.
Als Beispiel für die Gewinnführung durch dieses Manöver wird immer wieder eine berühmte Partie aus dem WM-Kampf 1927 zitiert.
Sie zeigt uns zudem die häufig auftretende Situation mit einem Mehrbauern als Randbauer, wobei am anderen Flügel ein Kräftegleichgewicht besteht.
Aljechin – Capablanca, Buenos Aires 1927
Nun zur identischen Idee aus Sicht des Verteidigers. Die Bauernstruktur ist fast identisch, aber diesmal bringt die Seite mit dem Minusbauern
ihren Turm hinter den gegnerischen Bauern. Im Ergebnis gelingt es, die Partie ausgeglichen zu halten.
Mecking – Kortschnoi, USA 1974
Um den König in die richtige Position zu bekommen, muss und kann man hin und wieder sogar einen Bauern opfern.
Aerni – Sommerhalder, Gibraltar 2011
Ein Wechselspiel gegenseitiger Turmhinterstellung zeigt das folgende Finale.
Porat – Kaufman, Niederlande 2010
Abschließend widmen wir uns einer berühmten endspieltheoretischen Untersuchung. Der Moskauer Wadim Kantorowitsch veröffentlichte die scheinbar
einfache Stellung 1989 in der Annahme, dass Schwarz sie remis halten könne. Erst 2003 entdeckte der Schweizer Johannes Steckner eine Gewinnidee
für Weiß, die man unbedingt kennen sollte. An der weiteren Analyse beteiligten sich u.a. die beiden größten Endspieltrainer jener Zeit, Karsten
Müller aus Hamburg und der inzwischen leider verstorbene Russe Mark Dworetzki.
Analysen von Kantorowitsch u.a.
Aufbauend auf auf einer aktuellen Partie wollen wir uns etwas näher mit der nebenstehenden Endspielstellung beschäftigen.
In der abgebildeten Position ist Weiß am Zug. Er schlägt den Eckspringer auf a1. Nun fragen wir uns, ob es egal ist,
ob Schwarz seinen König nach c1 oder nach c2 zieht.
Sehen wir zunächst, was beim Königszug nach c1 passiert. So wurde auch (in etwas anderer Konstellation) in der tatsächlichen
Partie gespielt.
Kxa1 wird mit Kc1 beantwortet.
In dieser Konstellation rettet sich Weiß also ins Remis.
Führt auch der Zug nach c2 zum Remis? Wer die vorstehende Analyse aufmerksam studiert hat, kennt die Antwort bereits.
Kxa1 wird mit Kc2 beantwortet.
Nach diesem schweren Fehler von Weiß kann Schwarz doch noch gewinnen.
Es bleibt die Frage, ob unsere Ausgangsstellung (siehe Abbildung) bereits remis ist, oder ob Schwarz mit einem anderen
Zug als Kxa1 gewinnen kann.
Schwarz schlägt nicht (sofort) auf a1.
Auch heute gibt es wieder einen Blick auf neue bzw. neu entdeckte Beispiele zu bereits besprochenen Themen.
Kuriose Mattbilder sind uns abseits des Weges allenthalben begegnet. Im vorliegenden Fall hilft der Verlierer
kräftig mit, dafür dürfte das Schlussbild einmalig sein.
O. Arndt – Gruber, Kreta 2019
Wir kennen das Motiv des Festungsbaus bereits aus mehreren Lektionen. Besonders wichtig sind Stellungen des hier
abgebildeten Typs mit Turm und Bauer gegen die Dame. Der Turm hat im Normalfall zwei sichere Stützpunkte, auf denen er
hin und her pendeln kann. Wenn damit der gegnerische König vom Geschehen fern gehalten werden kann, reicht das zum Remis.
Es gibt jedoch unglückliche Konstellationen, in denen der Gegner einen Zugzwang herbeiführen kann.
Im Kandidatenturnier 2020 gelang es dem Russen Nepomnjastschi, die Blockade instruktiv zu brechen.
Giri – Nepomnjastschi, Russland 2020
Der schweizerische Meister Hans Fahrni (1874 – 1939) spielte diese Partie um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert in einer Kaffeehauspartie gegen einen freundlichen älteren Herrn, dem er die Dame vorgegeben hatte.
Die Stellung ist zwar verloren, doch Fahrni zog spaßeshalber 1.a4-a3!!??, worauf sein Gegenüber nach längerem Nachdenken 1…h4-h5 spielte, und nach 2.a3-a2 h5-h6 3.a2-a1D+ aufgab.
Er murmelte daraufhin: "Merkwürdig! Ich hatte doch ausgerechnet, dass ich einen Zug früher eine Dame bekomme. Bin ich vielleicht mit meinem Bauern in die falsche Richtung marschiert?"
Fahrnis liebenswürdige Erwiderung war:
"Nein, auch das hätte nichts geändert." Der Meister präsentierte als Beweis die Variante 1.a4-a3 h4-h3 2.a3-a2 h3-h2 3.a2-a1D+ Kf1-g2 4.Da1-g7+ Kg2-h1 5.Dg7-b2 Kh1-g1 6.Kd3-e3 h2-h1D 7.Db2-f2#.
Der ältere Herr schüttelte den Kopf und meinte: "Also war die Partie so und so verloren. Wie man sich doch täuschen kann!"
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