Eröffnung Intensiv
Der Marshall-Angriff

Die Spanische Partie (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5) ist mit Abstand die wichtigste Eröffnung innerhalb der sogenannten "offenen Spiele", also jener Partien, in denen beide Spieler mit dem Doppelschritt des Königsbauern beginnen.
Obwohl es viele Nebenvarianten gibt, haben es die Partien aus dieser Eröffnung gemeinsam, dass zunächst in der frühen Eröffnungsphase beide Seiten ruhig ihre Kräfte entwickeln und bei richtigem Spiel zunächst keine besonderen Scharmützel stattfinden.
Um zu wissen, wovon wir reden, sehen wir uns zunächst die Hauptvariante der spanischen Partie an.
Der Grundaufbau in der Spanischen Partie

Gänzlich anders entwickeln sich die Dinge nun, wenn sich Schwarz zum Marshall-Angriff entschließt.
Er opfert zum Ende der Eröffnung einen Bauern für schnelle Entwicklung und Königsangriff. Man würde also nicht zögern, von einem Gambit zu sprechen, wenn nicht schon 8. Züge geschehen wären und die beiderseitige Entwicklung fast abgeschlossen wäre. Immerhin haben beide Spieler schon rochiert und die weiße Stellung ist ohne erkennbare Schwächen. Zwar hat Weiß schon 3mal mit dem Königsläufer gezogen, doch einen wirklichen Entwicklungsvorteil kann Schwarz daraus kaum ableiten.
Nach dem Bauernopfer, sehen die Dinge indes anders aus…
Sehen wir also zunächst die charakteristische Hauptstellung des Marshall-Angriffs:
So kommt es zum Marshall-Angriff

Aus dieser Grundstellung verfügt Schwarz über 3 grundsätzlich verschiedene Fortsetzungen seines Angriffs:

Wir haben gesehen, dass sich Weiß jeweils mit sehr genauen Zügen verteidigen musste. Dann war des Angriff schließlich auch zu überstehen. Doch schon einige Nebenvarianten haben gezeigt, wie schnell man vom rechten Wege abkommen und straucheln kann.


Doch schauen wir nun, wie es in der Turnierpraxis um den Marshall-Angriff bestellt ist:
Die "Mega Database" zeigt fast 4700 Partien aus der Grundstellung (nach dem 11. Zug). Dabei ist die Bilanz für Schwarz mit 51% knapp positiv. Die Eröffnung verspricht also gute Angriffs- und Gewinnchancen.
Etwas anders sieht es aus, wenn man nur die Spieler von Großmeisterniveau (über ELO 2400) herausfiltert. In den Duellen dieser Könner wird der Marshall-Angriff noch immer relativ häufig angewandt. Unter den jetzt gut 300 Partien ist nun die Bilanz von Weiß mit 54% deutlich positiver. Dabei ist die Remisquote sehr hoch. Weit über die Hälfte der Großmeisterpartien enden trotz der agressiven Eröffnung Unentschieden. Die wahren Klassespieler also schaffen es in der Regel, den Angriff unbeschadet zu überstehen.
Blicken wir zum Schluss auf die schnell entschiedenen Partien – jene, die nach maximal 25 Zügen zu Ende waren: Weiße Kurzsiege hat es kaum gegeben. Hingegen holt Schwarz hier fast 2/3 der Punkte. Recht oft also, hat Weiß frühzeitig fehl gegriffen und dann schnell verloren.

Einige dieser kurzen Siege von Schwarz wollen wir uns ansehen. Sie zeigen typische Fehler, nach denen Weiß schnell untergeht. Immer wieder sind es die Schwäche der Grundreihe und die verwundbaren Felder vor dem König, welche die Partie entscheiden.
Stich – Schell, Deutschland 2002
de Souza – Ferreira, Brasilien 2001
Lastras – Alvarez, Spanien 1993
Nikolic – Denovic, Jugoslawien 1995
Long – Arganian, USA 1991
Kotronias – Adams, Griechenland 1992
Kock – Pedersen, Dänemark 1992


Zum Schluss zu meinen eigenen Erfahrungen mit dem Marshall-Angriff. Vor allem wegen dieser Eröffnung bin ich vor vielen Jahren davon abgekommen, in den offenen Spielen Lf1-b5 zu ziehen. So hatte ich seit langer Zeit kein Spanisch mehr auf dem Brett. Gegen sehr starke Spieler scheue ich mich aber auch vor den offenen Abspielen nach 3.Lc4. Ich hoffe dann eben darauf, nicht ausgerechnet auf einen Marshall-Spezialisten zu treffen. Doch in den letzten Jahren ist es mir 2x passiert, mit einem absoluten Könner dieser Variante die Klingen kreuzen zu müssen.
Wer im Turnierschach den Marshall-Angriff spielt, der kennt sich mit Sicherheit auch sehr gut darin aus – und das bekam ich in beiden Fällen zu spüren …
Binder – Rabajew, Berlin 2004
Binder – G. Springer, Potsdam 2005




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Thomas Binder, 2004 (ergänzt 2017)