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Dieser Merksatz stammt von Emanuel Lasker aus dessen klassischem Buch "Gesunder Menschenverstand im Schach".
Zu Laskers Zeiten waren unsymmetrische Eröffnungen wie Sizilianisch und Französisch unter den durchschnittlichen Vereinsspielern
weit weniger verbreitet als heute. 1.e2-e4 wurde oft mit 1… e7-e5 beantwortet. Aber gerade von diesen Eröffnungen wusste
man, dass die voreilige Fesselung oft mit h7-h6 und g7-g5 bestraft wurde.
Beispielstellung Nr. 7 (Heisman)
Anmerkung des Übersetzers: In der vorgestellten Stellung ist die kurze Rochade sehr selten (4%) – und diese Partien
gehen für Schwarz desaströs aus. Mehr als die Hälfte der Schwarzspieler wählte das herausfordernde h7-h6.
Andererseits wird – entgegen Laskers Empfehlung – in knapp 50% der Gelegenheiten doch die Fesselung 6.Lc1-g5 versucht.
Das ausführliche Beispiel hat gezeigt, dass Schwarz in einem solchen Fall den fesselnden Läufer wiederum mit h7-h6 "befragen"
kann und Weiß danach keine gute Möglichkeit hat, die Fesselung aufrecht zu erhalten. Schwarz wird mit Vergnügen seine
Bauern am Königsflügel vorstoßen, wenn er nicht auf dieser Seite rochiert hat. Schwächere Spieler scheuen davor oft zurück,
aber "Gesunden Menschenverstand" gibt es eben nicht umsonst…
Anmerkung des Übersetzers: Heisman verwendet den schönen Begriff "Two-way Bishop". Die Übersetzung muss hier hinter dem Original verblassen.
Was ist ein "Zwei-Wege-Läufer"? Nun, er steht auf einem Feld wo er auf zwei Hochzeiten tanzen kann: Er wirkt stark entlang
beider Diagonalen. Ein gutes Beispiel ist der Läufer auf g5 in der Königsindischen Eröffnung. Nehmen wir das populäre
Awerbach-System:
Beispielstellung Nr. 8 (Heisman)
Wir haben gesehen, wie Schwarz den weißen Läufer zu einer Entscheidung drängt. Er kann nicht auf beiden Diagonalen bleiben, muss
sich für eine entscheiden.
Manche Spieler fürchten sich, 6… h7-h6 zu spielen, weil es die Königsstellung schwächt. Aber die Vorzüge sind in Stellungen
dieser Art höher zu bewerten als die kleinen Nachteile. Ironischerweise ist h7-h6 im Zusammenspiel mit g7-g6 oft ungefährlicher
als ohne das Fianchetto des g-Bauern wenn die Spieler nach entgegengesetzten Seiten rochiert haben und der Durchbruch g4-g5
in der Luft liegt.
Es gibt viele Eröffnungen, in denen man mit h2-h3 einen Läufer auf e3 indirekt schützen kann, weil man dem gegnerischen
Springer das Feld g4 verwehrt. Aber auch andere Züge können dieses Ziel erreichen.
Sehen wir als Beispiel eine Variante der Königsindischen Verteidigung:
Beispielstellung Nr. 9 (Heisman)
Anmerkung des Übersetzers: In der gegebenen Stellung werden 5.Sg1-f3 und 5.f2-f3 etwa gleich häufig (je 28%) gespielt.
Hingegen kommt 5.h2-h3 nur in knapp 4% der Partien vor.
Ein weiteres eindrucksvolles Bild zu diesem Thema gibt der Jugoslawische Angriff in der Sizilianischen Drachenvariante.
Beispielstellung Nr. 10 (Heisman)
Anmerkung des Übersetzers: Heisman bringt hier ein anderes sehr eindrucksvolles Stellungsbild, das aber leider nicht mit
der angegebenen Variante übereinstimmt und auch in praktischen Partien sehr unwahrscheinlich ist, da Weiß quasi zwei Tempi
verschenkt haben müsste. Nach meinem Hinweis hat er diesen kleinen Fauxpas auf seiner eigenen Homepage inzwischen korrigiert.
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Ein Großmeister soll zu einer entsprechenden Stellung erklärt haben: "Nicht dass ich dachte, ich würde auf ein Grundreihenmatt
hereinfallen. Aber vom praktischen Standpunkt her war es sinnvoll h2-h3 zu spielen. So brauchte ich mich in allen späteren
Variantenberechnungen nicht mehr um mögliche Matts zu kümmern."
Ein guter Rat – vor allem wenn man kein Großmeister ist.
Einige Bemerkungen zu "Luftlochzügen":
Wenn du wieder einmal den Zug h2-h3 in Erwägung ziehst, benutze deinen gesunden Menschenverstand und überlege, ob die hier vorgestellten Grundsätze eine Hilfe sind, sich für oder gegen den Zug zu entscheiden.
Übersetzung und Bearbeitung: Thomas Binder
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