Binder,Thomas (1854) – Strehlow,Horst (2117)
OBT 2008, 25.03.2008

Auch diese Partie hat eine Vorgeschichte. Herr Strehlow ist ein in Berlin hoch angesehener Altmeister (76 Jahre). Seine beste Zeit ist lange vorbei, aber natürlich spielt er noch immer ein hochkarätiges Schach und ist gegen mich Favorit. Im Sommer 2007 hatte ich gegen ihn eine Turnierpartie recht drastisch verloren. Danach erklärte er meinem Vereinskameraden Achim Schilly, dass ich nichts von Schach verstünde. In der Tat habe ich damals schwach gespielt, was aber auch an einer missglückten Eröffnungsfalle lag. Vermutlich wird er nach der heutigen Partie sein drastisches Urteil etwas revidieren.

1.e2-e4 c7-c5 2.d2-d4 c5xd4 3.c2-c3 d4xc3 4.Sb1xc3
Mit dem angenommenen Morra-Gambit habe ich eine meiner Wunsch-Eröffnungen erreicht. Wie in jedem Gambit opfert man einen Bauern für Vorteile in Angriff und Entwicklung. Gerade beim Morra-Gambit ist es so, dass man lang anhaltend die offensivere Stellung erhält.

4…e7-e6 5.Sg1-f3 d7-d6 6.Lf1-c4 a7-a6 7.0-0 Dd8-c7 8.Dd1-e2 Sb8-c6
Das ist eine Standard-Aufstellung beider Spieler im Morra-Gambit.

9.Lc1-f4 Sc6-e5
Diese Spielweise (vor Enwicklung der Figuren am Königsflügel) ist eher selten. Wegen des Angriffs gegen c4 und f3 ist der Tausch der Springer praktisch unvermeidbar.

10.Sf3xe5 d6xe5 11.Lf4-e3 Sg8-f6 12.Ta1-c1
Das bringt interessante Motive ins Spiel, mit denen man z. B. nach Lf8-e7 die unentwickelte Stellung am Königsflügel ausnutzen könnte.

12…Dc7-b8
[Nur zur Verdeutlichung 12…Lf8-e7?? 13.Sc3-b5! (Nicht ganz so gut, aber immer noch spielbar, ist 13.Lc4-b5+ a6xb5 14.Sc3xb5 Dc7-a5 15.Sb5-c7+ Ke8-f8 16.Sc7xa8 Da5xa8 ) 13…Dc7-b8 (13…a6xb5?? 14.Lc4xb5+ Dc7-d7 15.Lb5xd7+ Lc8xd7 ) 14.Sb5-c7+! Db8xc7 15.Lc4-b5+ Lc8-d7 16.Tc1xc7 Ld7xb5 17.De2-c2 Lb5xf1 18.Tc7-c8+ Ta8xc8 19.Dc2xc8+ Le7-d8 20.Kg1xf1 ]

13.Tf1-d1 Lf8-e7 14.Le3-b6
Eine Idee, die ich in meinen zahlreichen Partien mit dem Morra-Gambit noch nie gespielt habe. Der Läufer soll hier das schwarze Spiel weiter einengen.

14…0-0 15.Lc4-b3 Lc8-d7 16.Sc3-a4 Ld7-c6 17.f2-f3 Db8-e8 18.Sa4-c5 Sf6-d7 19.Sc5xd7 Lc6xd7 20.Lb6-c7
Die weißen Leichtfiguren haben das Spiel dominiert. Vielleicht konnte sich Strehlow durch den Abtausch etwas Entlastung verschaffen. Aber noch immer steht Weiß gut. Der gegnerische Mehrbauer ist nur von statistischem Wert. Schwarz entschied sich nun, ihn zurück zu geben.

20…Ta8-c8
[20…f7-f6 21.De2-f2 Tf8-f7 22.Df2-b6 und Weiß erobert den Bauern e6 doch noch. 20…Le7-f6? 21.Lc7-d6 Lf6-g5 (21…Lf6-e7 22.Ld6xe5 ) 22.Tc1-c3 Lg5-e7 23.Ld6xe5 ]

21.Lc7xe5 Tc8xc1 22.Td1xc1 Ld7-c6
Ich habe also gegen den hochkarätigen Gegner problemlos eine ausgeglichene Stellung erreicht. Diese Position kann wohl bei normalem Verlauf keiner der Spieler mehr verlieren. Freilich darf man nun kein großes Risiko mehr eingehen.

23.De2-e1 De8-d8 24.De1-g3 Le7-f6 25.Tc1-d1 Dd8-b6+ 26.Kg1-h1 Lf6xe5 27.Dg3xe5 Db6-f2 28.De5-d4 Df2-h4 29.Lb3-a4 Lc6xa4 30.Dd4xa4
Weiter habe ich konsequent auf Ausgleich gespielt. Mit seinem nächsten Zug will der Gegner eine neue Angriffsressource erschließen. Der h-Bauer soll bis h3 durchlaufen und für Unruhe sorgen.

30…h7-h5 31.Da4-d7 b7-b5 32.Dd7-d6
An dieser Stelle dachte mein Gegner lange nach und entschied sich, beide Bauern am Damenflügel zu opfern. Dafür will er mit Dame und Turm auf die zweite Reihe eindringen. Soweit hatte ich das auch berechnet. Ich übezeugte mich nun, dass ich ja zuletzt auf b5 schlage und dann mit der Dame nach f1 komme, um das Matt auf g2 abzuwehren. Sehr viel Bedenkzeit investierte ich, um mir sicher zu sein, dass der Gegner keinen "Trick" für ein Grundreihenmatt in der Hand hat. Dann nahm ich also die Bauern.

32…Tf8-c8!? 33.Dd6xa6 Tc8-c2 34.Da6xb5 Dh4-f2?? 35.Db5-f1??
[Natürlich kann Weiß hier ganz einfach mattsetzen: 35.Td1-d8+ Kg8-h7 36.Db5xh5#
Wie kann es sein, dass ein halbwegs erfahrener Spieler – noch dazu in sehr guter Form – dieses einfache Matt übersieht?? Es gibt dafür keine Entschuldigung, aber eine lehrreiche Erklärung. Wie in der vorigen Anmerkung beschrieben, hatte ich die ganze Abwicklung einige Züge zuvor berechnet. Es entwickelte sich auch alles wie geplant und so machte ich meine Züge völlig ohne weiteres Nachdenken – ein Kardinalfehler, vor dem ich immer wieder warne und in den ich hier unter den Bedingungen einer schwierigen Turnierpartie selbst hinein tappe. Erklärend ist noch zu sagen, dass eben die Felder d8 und h5 während der Vorberechnung gedeckt waren und das Matt deshalb mir nicht in den Sinn kam. Aber ein einziger Blick auf die Stellung vor dem 35. Zug hätte hier den vollen Punkt gesichert.]

35…Df2-c5 36.Td1-b1 Dc5-b6 37.a2-a4 h5-h4 38.h2-h3 Tc2xb2
An dieser Stelle einigten wir uns auf Remis. Ich habe zwar einen Mehrbauern, aber Schwarz hat gute Aussichten auf Dauerschach. Der Gesamteindruck bleibt zwiespältig. Das Remis gegen den Altmeister ist ein schöner Erfolg, doch ein Sieg war ganz einfach zu haben und wurde auf lehrreiche Art "vergeigt". Eine mögliche Folge wäre

39.Tb1xb2 Db6xb2 40.a4-a5 Db2-a3 41.a5-a6
Wenn nun die weiße Dame von der Grundreihe weicht, bekommt Schwarz wohl Dauerschach. 1/2-1/2