Mein letzter Gegner kommt aus den USA, gehört aber auch einem Verein in München an. Von der Papierform her ist er klarer Favorit. Ich kannte ihn nicht, hatte aber den Eindruck, dass er ein starkes und interessantes Schach spielt. Mein Turnierziel "B-Norm" war bereits erreicht, die "A-Norm" von 6,5 Punkten schien so unerreichbar, dass ich selbst vor dieser Partie nicht darüber nachdachte. Andererseits orakelte ich, für Jared gäbe es wohl kaum etwas leichteres, als durch einen Sieg über einen Außenseiter wie mich, diese Norm zu erreichen – nur, dass sie ihm gar nichts nützen würde, solange er keinem Berliner Verein angehört. Sei's drum: Ich freute mich auf eine interessante Partie und genoss es, in der 1. Reihe des Turniersaales zu sitzen, wo sich eben die stärksten Spieler treffen.
1.e2-e4
c7-c5
2.d2-d4
c5xd4
3.c2-c3
d4xc3
4.Sb1xc3
Also wieder ein angenommenes Morra-Gambit. Über den Verlauf der Eröffnungen kann ich mich in diesem Turnier wahrlich nicht beschweren. Das lief alles nach meinen Wünschen. Jared spielte die ersten Züge allerdings so schnell, dass ich annehmen musste, er habe sich auf mich vorbereitet. Angesichts meines doch sehr schmalen Eröffnungsrepertoires ist das ja auch nicht weiter schwer.
4…Sb8-c6
5.Sg1-f3
e7-e6
6.Lf1-c4
a7-a6
7.0-0
b7-b5
Das hat mir einen kleinen Schrecken eingejagt. Ich war mir sicher, dass Jared nun die in den USA so populäre Chicago-Verteidigung spielen wird – und gegen die spiele ich nun wiederum nicht so gerne.
8.Lc4-b3
Lc8-b7
[Chicago wäre jetzt z. B. 8…d7-d6
9.Dd1-e2
Lf8-e7
10.Tf1-d1
Ta8-a7
11.Lc1-e3
Ta7-d7
]
9.Dd1-e2
Sc6-a5
10.Lb3-c2
Sg8-f6
11.Tf1-d1
Lf8-c5
12.Lc1-g5
Dd8-b6
OK – Schwarz spielt also eine Art Eigenbau. Damit kann ich leben.
13.e4-e5
Sf6-d5
14.Sc3-e4
In dieser Phase habe ich einfach genossen, was hier passiert. Ich sitze in der letzten Runde des OBT in der 1. Reihe unter allen Spitzenspielern (oder weit vor ihnen), habe mein Turnierziel schon erreicht und darf auch noch meine Lieblingseröffnung spielen. Ich saß am 8. Brett, also genau am Ende der 1. Reihe. Da habe ich meinen Stuhl ein wenig zur Seite gerückt, die Beine übergeschlagen und einfach dieses tolle Gefühl genossen, bevor es wieder ans Berechnen von Schachvarianten ging. Schon der nächste Zug nötigte mich zu einer verpflichtenden Entscheidung.
14…Lc5-e7
15.Lg5xe7
Nach langem Überlegen habe ich den Läufer getauscht. Schwarz kann nicht mit dem Springer wiedernehmen, er muss also seinen König im Zentrum einklemmen. Das ist mir der Tausch trotz Minusbauer und Abgabe einer aktiven Figur wert.
15…Ke8xe7
[15…Sd5xe7?
16.Se4-d6+
Ke8-f8
(16…Ke8-d8??
17.Sd6xf7+
) 17.Sf3-g5
und Weiß gewinnt.]
16.Sf3-d4
Eine wunderschöne Stellung.
16…h7-h6
17.Se4-d6
Sa5-c6?
[Besser ist 17…Sa5-c4
wie Jared auch in der Analyse nach der Partie herausfand. 18.Sd6xb7
Db6xb7
19.Lc2-e4
immer noch mit guten Chancen für Weiß.]
18.Sd4-f5+!
Wenn alle Ziele erreicht sind und man sich rundum wohlfühlt, geht ein solcher Zug natürlich leicht von der Hand.
18…Ke7-f8
[Was passiert, wenn er den Springer schlägt? 18…e6xf5
19.Sd6xf5+
Ke7-f8
(19…Ke7-e6??
20.Td1xd5
Ke6xd5
21.Lc2-b3+
Kd5-c5
22.Ta1-c1+
Kc5-b4
23.De2-d2#
) 20.Td1xd5
Hier hatte ich in der Vorberechnung einige Zeit das "Gespenst" 20…Sc6-d4??
gesehen, mit Angriff auf Dame und Turm. Aber natürlich geht dann einfach 21.Td5xd4
g7-g6
22.Td4xd7
g6xf5
23.Lc2-b3
Th8-h7
24.De2-h5
]
19.Sd6xb7
Db6xb7
20.Sf5-d6
Db7-b6
21.De2-h5
Sc6-d8
[21…g7-g6!?
wäre noch gegangen. Das von mir vage geplante Läuferopfer auf g6 ist dann wohl zu optimistisch. 22.Lc2xg6?
f7xg6
23.Dh5-f3+
(23.Dh5xg6??
Sc6xe5
) 23…Kf8-e7
24.Td1xd5
Th8-f8
(24…e6xd5
25.Df3-f6#
) 25.Sd6-f7
Tf8xf7
26.Td5xd7+
Ke7xd7
27.Df3xf7+
Kd7-c8
28.Ta1-c1
aber so, wie meine Partien in diesem Turnier liefen, hätte ich 22. Lxg6 wohl riskiert und vermutlich damit sogar Recht behalten.]
22.Lc2-e4
Db6-c5
Nun ist wieder alles im Lot. Zwar hat Schwarz noch einen Bauern mehr, aber mein Angriff ist entscheidend. Sein Manöver mit der Dame ist auf jeden Fall zu langsam.
23.Ta1-c1
Dc5-b4
24.Le4xd5
e6xd5
25.Tc1-c7!
Das ist viel stärker als Td1xd5. Unabwendbar droht Txd7 nebst evtl. Txd8. Allerdings habe ich diese Idee dann in den nächsten Zügen auch ohne weiteres Nachdenken gespielt…
25…f7-f5??
26.Tc7xd7?
Mattsetzen ist in diesem Turnier nicht wirklich meine Stärke. Hier und im nächsten Zug gab es natürlich ein einzügiges Matt, was beide Spieler übersahen. [26.Dh5-e8#
]
26…Db4-g4
27.Td7xd8+
[27.Dh5-e8#
]
27…Kf8-e7
[27…Ta8xd8
28.Dh5-f7#
]
28.Sd6xf5+
Schwarz gab auf. Er verliert die Dame und bekommt nicht genug Material dafür – z. B.
28…Dg4xf5
29.Dh5xf5
Ta8xd8
30.Td1-c1
mit klarem Gewinn.
Das Turnier ist zu Ende. Ich habe 6,5 Punkte erreicht, die nie erwartete A-Norm, Platz 11 unter gut 120 Spielern – eine tolle Steigerung gegenüber Nr. 45 in der Setzliste. Auch die Qualität meiner Gegner ist nicht von Pappe: Immerhin traf ich auf die Nummern 3, 5, 7, 8, 9 und 15 der Setzliste. Ein satter Zuwachs an ELO und DWZ ist der Lohn und es bleibt die Erinnerung an ein in jeder Hinsicht – auch im Umfeld und der Atmosphäre unter den Spielern – herrliches Turnier.
Mein Spiel hatte seine Ecken und Kanten. Viele Gegner haben sich wohl "selbst umgebracht" – aber lehrreich waren die Partien allemal, gerade für junge Spieler jeden Leistungsstandes. 1-0