Als Lettisches Gambit bezeichnen wir die Eröffnung nach 1.e2-e4 e7-e5 – 2.Sg1-f3 f7-f5. Schwarz strebt eine Art Königsgambit mit vertauschten Farben an. Schon nach wenigen Zügen steht das Brett regelrecht in Flammen. Strategische Überlegungen und allgemeine Eröffnungsgrundsätze werden schnell über Bord geworfen. Auch Weiß beteiligt sich am stürmischen Angriffsspiel und oft wechselt die Rolle des Angreifers und des Opferspielers sogar zu ihm.
Das Lettische Gambit erhielt seinen Namen, weil es vor allem Spieler aus diesem kleinen baltischen Land waren, die es in 1920er Jahren populär machten und viele
neue Ideen in der Turnierpraxis erprobten. Die Meister Behting (1867 – 1943) und Apscheniek (1894 – 1941) werden immer wieder genannt.
Die Eröffnung selbst ist natürlich viel älter. Schon im 17. Jahrhundert finden sich Belege sowohl in Lehrbüchern als auch in überlieferten Partien,
darunter des berühmten Italieners Gioachino Greco.
Das Lettische Gambit wird von Eröffnungs-Experten als nicht ganz korrekt angesehen. In der Praxis der Großmeister trifft man es nur selten an. Doch abseits
der theoretischen Forschung bietet es einen zusätzlichen Vorteil: Wie bei vielen exotischen Eröffnungen sind einige Spieler auf diese Variante spezialisiert.
Sie bringen die Erfahrung aus Hunderten Partien mit, während der überraschte Weißspieler möglicherweise zum ersten Mal damit konfrontiert ist.
Dieser Vorteil wiegt das mit dem Gambit verbundene Risiko mehr als auf.
Ich selbst bekomme das Lettische Gambit gelegentlich in Online-Partien vorgesetzt. Mein Patentrezept ist der bescheidene Zug 3.d2-d3. Er verspricht
keinen besonderen Vorteil, ist aber allemal angetan, den Lettisch-Freak aus seinem Konzept zu bringen.
Schauen wir nun, wie sich die Partie nach den Anfangszügen 1.e2-e4 e7-e5 – 2.Sg1-f3 f7-f5 entwickelt. Es sind im Wesentlichen vier weiße Antworten zu unterscheiden.
Bei einer Gambit-Eröffnung muss man sich natürlich zunächst anschauen, wie es weitergeht, wenn man den Bauern einfach schlägt. Schwarz setzt dann mit
dem thematischen Bauernzug e5-e4 fort und erreicht mit normalen Zügen eine zufriedenstellende Stellung. Auch Weiß sollte in dieser Variante nicht
nach schnellem Materialgewinn trachten, sondern eine harmonische Entwicklung anstreben.
Fortsetzung nach 3.e4xf5
Etwas seltener setzt Weiß mit dem sofortigen Aufzug des d-Bauern fort. Seine Aussichten sind etwa genauso gut, wie beim Schlagen auf f5. Diese Variante
sollte Spielern entgegenkommen, die eine "ruhige" Fortsetzung mit normalen Entwicklungszügen anstreben. Ganz kann man freilich auch hier dem Gift der
Gambit-Eröffnung nicht entfliehen.
Fortsetzung nach 3.d2-d4
Wie in vielen offenen Spielen nimmt Weiß mit diesem Läuferzug sofort den schwachen Punkt f7 ins Visier. Wir haben schon in den vorherigen Varianten gesehen,
dass er auch im Lettischen Gambit eine wichtige Rolle spielt.
Nach der Fortsetzung 3… f5xe4 – 4.Sf3xe5 stehen Schwarz zwei wesentliche Züge zur Verfügung
Diese Fortsetzung nimmt innerhalb des Lettischen Gambits eine Sonderstellung ein. Es ergibt sich eine wildromantische Zugfolge, in deren Verlauf beide
Damen im gegnerischen Lager auftauchen. Das Urteil der Theorie ist eher gegen Schwarz ausgefallen, einen Versuch ist die Eröffnung aber dennoch wert.
Nach einem wilden Schlagabtausch bis zum 9. Zug erreichen wir eine Stellung, in der sich Schwarz erneut grundlegend entscheiden muss.
weitgehend forciertes Spiel bis zum 9. Zug
Schwarz hat bereits einen Turm mehr und kann sich nun auch noch bei dem Läufer c1 bedienen. Sehen wir, wie ihm das bekommt.
Schwarz schlägt auf c1 weiter
Das Schlagen auf c1 führt also zu einem scharfen Schlagabtausch, bei dem beide Spieler Nerven aus Stahl brauchen um bei ihrer Gratwanderung nicht
abzustürzen. Vor allem die noch nicht in der Praxis erprobte Fortsetzung im 17. Zug stellt diese Fortsetzung in ein sehr zweifelhaftes Licht.
Statt des Schlagens auf c1 kann Schwarz zu dem "Spielverderberzug" 9… c7-c6 greifen. Er kontrolliert dann vorsorglich das Feld d5 und
schafft dem König einen "Notausgang" über c7.
Schwarz setzt mit dem vorsichtigen c7-c6 fort
Haarsträubende Varianten waren das. Obwohl Schwarz oft überwältigenden Materialvorteil erlangte, hatte Weiß am Ende immer die besseren Aussichten.
Ob man sich diesem Spiel auch in der Praxis am Brett aussetzen möchte, steht auf einem anderen Blatt. So ist es kein Wunder, dass ich gerade in diesem
Abschnitt mit Computerhilfe viele Unkorrektheiten in der mir zur Verfügung stehenden Eröffnungsliteratur aufdecken konnte.
Zusammenfassend muss man feststellen, dass nach 3…. Dd8-g5 Weiß eigentlich immer zu gewinnbringendem Angriff kommt. Daher sollte sich Schwarz der Alternative d7-d5 zuwenden.
Völlig zu Recht wird diese Variante heute bevorzugt.
Svedenborg-Variante
Statistisch und auch im Umfang des Theoriematerials kann diese Fortsetzung als die Hauptvariante angesehen werden. Der wichtigste Antwortzug von Schwarz ist 3… Dd8-f6. Danach ist der Springer e5 angegriffen. Es sieht natürlich aus, ihn mit d2-d4 zu decken. Wenn Schwarz dann seinerseits mit d7-d6 den Angriff erneuert, zieht der Springer nach c4. Dorthin kann ihn Weiß aber auch sofort ziehen. Diese Alternative verdient Beachtung.
Das Geschehen entwickelt sich relativ ruhig. Weiß kann seine Figuren harmonisch aufstellen. Meist rochiert er dabei lang.
Deckung des Springers d2-d4
Auch hier haben beide Seiten eine breite Auswahl von Möglichkeiten. Das Zurückhalten des d-Bauern eröffnet Weiß dabei zusätzliche Optionen.
Sofortiger Rückzug des Springers nach c4
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