Ehre – wem Ehre gebührt! Deshalb stehen die Bilder unserer vier "Pokalhelden" hier an erster Stelle.
Henry Oelmann, Brian Heinze, Kai Tonke und Jan Holger Neuenbäumer hatten schon mit dem Erreichen des
Viertelfinales im Berliner Pokal 2023 einen der größten Erfolge in der Vereinsgeschichte erreicht. Dort setzten sie sich erneut durch
und brachten uns ins Halbfinale. Nach zwei Niederlagen am Final-Wochenende, blieb uns zwar nur der undankbare vierte Platz, doch im Kleinen Finale
begegneten wir den Rivalen aus Weißensee auf Augenhöhe.
Es ist Chronistenpflicht, hier zunächst die Ergebnisse aus dem Berliner Pokal in Erinnerung zu halten:
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"Undankbar" war dieser vierte Platz vor allem, weil damit die Qualifikation zur Deutschen Pokalmeisterschaft (DPMM) knapp verpasst wurde.
So waren wir reichlich überrascht, als uns der Spielleiter des Berliner Schachverbandes im September 2023 dennoch für diesen Titelkampf nominierte.
Damit sollte zum ersten Mal eine Siemensstädter Mannschaft an einer deutschlandweiten Meisterschaft teilnehmen.
Zugleich konnten wir als unterklassiger Verein auf das Heimrecht für eine Vorrundengruppe hoffen.
Die Frage, wie es dazu gekommen war, stellte sich für uns nicht. Erst viel später erfuhren wir, dass zwischen dem eigentlich qualifizierten Verein und dem Spielleiter wohl eine Kommunikationspanne passiert war, weshalb die Chemiker wegen fehlender Rückmeldung nicht gemeldet wurden.
Für uns folgte zunächst eine quälend lange Zeit der Ungewissheit. Erst Anfang Dezember gab der DSB die Gruppeneinteilung und die ausrichtenden Vereine bekannt. Wir hatten tatsächlich Heimrecht, sollten die Oberligisten aus Hameln und Leipzig, sowie die Auswahl des Deutschen Blinden- und Sehbehinderten-Schachbundes empfangen.
Sofort begann der Vorstand, die notwendigen Arbeiten zu koordinieren. Es musste z. B. dafür gesorgt werden, dass unser
Spiellokal in der Schule an der Jungfernheide an einem Januar-Wochenende ausreichend geheizt sein würde. Es mussten durchschreibende Formulare
besorgt und die Bewirtung der Gäste mit Getränken und Gebäck organisiert werden.
Völlig unstrittig war übrigens, dass uns in der DPMM unabhängig von DWZ-Ranglisten jene vier Spieler vertreten würden, die sich im Berliner Pokal
so bravourös geschlagen hatten.
An einigen Stellen schossen wir auch über das Ziel hinaus. So hatten wir die Ausschreibung so verstanden, dass der Gastgeber einen Schiedsrichter zu stellen hat. Wir gewannen FIDE-Schiedsrichterin Swenja Wagner für diese Aufgabe und mussten sie später wieder ausladen, denn natürlich liegt die Nominierung des Referees in der Hand des DSB. Er bestimmte mit Dr. Rene-Rainer Starke vom TSV Mariendorf einen Schiedsrichter, der das Pokalwochenende souverän und ruhig über die Runden brachte.
Seltene Aufmerksamkeit fand unser Pokalhighlight sogar in der Lokalpresse. Einen solch großen Artikel hat das Schach im Spandauer Volksblatt wohl lange nicht gehabt.
Wenige Tage vor dem geplanten Termin (27./28. Januar 2024) zog noch einmal Unruhe ein. Eine Gewerkschaft bestreikte den Zugverkehr der Deutschen Bahn.
Vor allem den Spielern der DBSB-Auswahl wurde damit die Anreise nach Berlin sehr erschwert. Eine kurzzeitig erwogene Verlegung scheiterte u.a. daran, dass
der ins Auge gefasste Termin in Berlin ein Wahlsonntag gewesen wäre.
Wir waren erleichtert, als schließlich doch alle drei Gastmannschaften pünktlich in Siemensstadt eintrafen.
Das Pokalwochenende wird allen Beteiligten in Erinnerung bleiben. Wir waren gute Gastgeber, wurden mehrfach für die umsichtige Organisation und die guten Spielbedingungen in der Schule an der Jungfernheide gelobt.
Nachdem sich alle Mannschaften miteinander bekannt gemacht und die Örtlichkeiten erkundet hatten, wurde die Auslosung in sehr unkomplizierter und klassischer Art
vorgenommen. Der Schiedsrichter faltete vier Loszettel, und der Hut des charismatischen Verbandstrainers des DBSB FIDE-Meister Wilfried Bode diente als
Lostrommel. Dieses pragmatische Vorgehen steht bezeichnend für den freundschaftlichen Umgang aller Beteiligten an den beiden Spieltagen.
Für uns war die Auslosung eigentlich irrelevant. Gegen jeden der drei möglichen Gegner gingen wir als krasser Außenseiter ins Rennen.
SF Siemensstadt | SG Leipzig | ||
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1 | Henry Oelmann (DWZ 2007) | 0 : 1 | Marvin Henning (DWZ 2210) |
2 | Brian Heinze (DWZ 1974) | 0 : 1 | Laurin Haufe (DWZ 2167) |
3 | Kai Tonke (DWZ 1827) | 0 : 1 | Stefan Schiffer (DWZ 2196) |
4 | Jan Holger Neuenbäumer (DWZ 1875) | 0 : 1 | Manuel Pietzsch (DWZ 2067) |
0 : 4 |
Es folgten fast sechs Stunden anspruchsvollen Schachspiels in den beiden Halbfinals dieser Vorrunden-Gruppe. Unsere Pokalhelden trafen auf die SG Leipzig. Der Gast war an allen Brettern klar überlegen aufgestellt. So grenzte es schon an ein Wunder, dass nach ca. vier Stunden von den aktuellen Stellungen her (und auch durch spätere Computer-Analysen gestützt) eigentlich ein 2:2 im Bereich des Möglichen lag. Aber – es ist eben schwer, kleine Vorteile gegen hoch überlegene Gegner zu verwerten. So stand am Ende doch eine deutliche Niederlage – doch das war an diesem Tage zweitrangig.
Im Parallelspiel setzte sich die DBSB-Auswahl gegen den Hamelner SV mit 3½:½ überraschend deutlich durch.
Für alle Anwesenden war es ein besonderes Erlebnis, hochkarätige Spieler aus dem Bereich des Blinden-Schachs in Aktion zu erleben.
Für einen "sehenden" Schachspieler (und noch mehr für Schach-Laien) ist es kaum vorstellbar, wie es ihnen gelingt, ohne Sehkraft starke Schachpartien zu spielen.
Nur für die technische Abwicklung des Spielbetriebs stehen ihnen spezielle Hilfsmittel zur Verfügung. Eine Bilderfolge soll dies verdeutlichen – Dank an Schachfreund Axel Eichstädt, dessen
Equipment wir fotografieren durften.
Mit einer speziellen Schreibmaschine kann er seine Züge notieren. Sie gibt einen Papierstreifen mit Braille-Schrift aus. Die Schachuhr hat zusätzliche Funktionen, die das Abhören des aktuellen Zeitstandes per Kopfhörer ermöglichen. Das zusätzliche Tast-Spielbrett kennzeichnet die schwarzen Figuren mit einer kleinen Erhöhung und hat unterschiedlich tief eingelassene weiße und schwarze Felder.
Den Sieg unserer Vorrundengruppe errangen schließlich die Spieler der SG Leipzig. Sie belohnen sich dann in der nächsten Runde mit dem deutschen Serienmeister aus Baden-Baden als Gruppengegner. Im Finale bezwangen sie die DBSB-Mannschaft knapp mit 2½:1½, hatten aber relativ früh die notwendigen Punkte zusammen.
Für das schachliche Highlight des Wochenendes sorgte am Spitzenbrett allerdings DBSB-Spieler Mirko Eichstaedt aus Potsdam. Seine Kombination zeugt von so viel Phantasie, dass man über kleine "Lücken" in der konkreten Berechnung hinwegsehen möchte.
Es beginnt mit der links außen abgebildeten Stellung. Schwarz hat eine Qualität mehr und entschließt sich nun zu einem Figurenopfer: 30… d3-d2 31.Te1-d1 Td5-c5 32.f4xg5 Tc5-c1 33.De4-g4. So weit – so gut. Aber hat nicht Weiß nun alle Drohungen des Freibauern abgewehrt?
Genau genommen führt der Weg zum Sieg für Schwarz nun über 33… Txd1 34.Dxd1 hxg5. Aber fernab schachlicher Wahrheit, ist der Zug 33… Da5-b4!? einfach zu schön,
um ihn auszulassen. (siehe Bild links innen)
Es folgte 34.Dg4xb4 Tc1xd1+ 35.Kg1-f2(?) Td1-f1+! 36.Kf2xf1 d2-d1D+ 37.Kf1-f2 Dd1-c2+ nebst Gewinn des Springers f5 und später der ganzen Partie (siehe Bild rechts).
Dass Weiß mit 35.Kh2 (statt Kf2) die Partie wohl halten konnte, ist nur aus schachlicher Sorgfalt zu erwähnen, es hätte uns um einen schönen Schlusspunkt unter ein schönes Wochenende gebracht.
Vielleicht nicht direkt am Schachbrett, wohl aber im Umfeld haben wir den Namen unseres Vereins erstmals in einer Deutschen Meisterschaft etabliert. Wir waren gute Gastgeber und Organisatoren. Daran hatten viele Schachfreunde ihren Anteil. Auf weitere Höhepunkte sind wir gut vorbereitet.