Friedrich Vogt gehörte über mehrere Jahrzehnte zu unseren stärksten Spielern und erwarb sich weit über den eigenen
Verein hinaus Ansehen. Er war zugleich Mitglied der BSG Eckbauer, des führenden Berliner Schachvereins. Es war
seinerzeit durchaus üblich, mehreren Vereinen anzugehören und sich jeweils für einen zu entscheiden, den man in den
Mannschaftsmeisterschaften vertrat. Sowohl in den 1930er als auch den 1960er-Jahren bestritt Herr Vogt für einige Zeit
Mannschaftskämpfe für unseren Verein. 1962 bis 1964 erreichte er dabei am Spitzenbrett(!) die beeindruckende Bilanz von
15 Punkten aus 18 Einsätzen. Friedrich Vogt gehörte in seinen besten Jahren, etwa ab Ende der 1930er zu den stärksten
Spielern Berlins.
Mindestens 5x gewann er unsere Vereinsmeisterschaft, auch als Pokalsieger und Blitzmeister ist er hervorgetreten.
Aber ausgerechnet seine letzten 3 Teilnahmen an der Vereinsmeisterschaft (nach dem letzten Titelgewinn 1963) standen unter
einem ungünstigen Stern und beschäftigten jeweils die Leitungsgremien der SG Siemens.
Die beiden Fotos von 1949 (links) und 1937 (rechts) entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Vereinsarchiv der BSG Eckbauer.
In der Vereinsmeisterschaft 1964 belegte Titelverteidiger Vogt den dritten Platz hinter Kurt Mall und Wülfing Etter.
Entscheidend für den Ausgang der Meisterschaft war die Partie zwischen Vogt und Mall, die der neue Meister nach Wiederaufnahme
der Hängepartie gewann. Bei einem umgekehrten Ausgang wäre Vogt erneut Meister gewesen, ein Remis hätte ihm einen Stichkampf
gesichert.
Vogt beschuldigte nun sowohl Herrn Mall als auch den Turnierleiter Manfred Leu, den Umschlag zur Hängepartie geöffnet und
den Abgabezug eingesehen zu haben. Er konnte dafür allerdings keine Beweise erbringen und es erschien angesichts der
"anerkannten Spielstärke des Herrn Mall" und der auch heute noch geschätzten Integrität unseres langjährigen Spielleiters
Manfred Leu als sehr unwahrscheinlich, dass hier eine Manipulation vorlag.
Möglicherweise hatten die Spieler entgegen sonstiger Gewohnheit versäumt, den Umschlag mit ihren Unterschriften zu
versiegeln, wodurch ein solcher Verdacht erst entstehen konnte.
Der Spielausschuss wies den Einspruch von Friedrich Vogt zurück: "Der Protest …hätte vor der Wiederaufnahme der
Partie vorgetragen werden müssen, nicht aber erst nachdem bereits einige Züge in der Partiefortsetzung geschehen waren.
Darüber hinaus sind Beweise für die Behauptung des Herrn Vogt nicht erbracht worden…"
Der Vorstand erteilte Herrn Vogt zudem einen Verweis und drohte ihm "im Wiederholungsfall geeignete Schritte zur
Beendigung der Mitgliedschaft" an. Der Verweis stützt sich darauf, dass Vogt mit seinen "nicht zu vertretenden
Unterstellungen" das Ehrgefühl der Beschuldigten "in gröbster Weise" verletzt habe.
Vogt selbst schlug in einem späteren Schreiben an den Vorsitzenden Georg Meyer (siehe obiger Ausschnitt) deutlich versöhnlichere Töne an.
Der Fall habe "Staub aufgewirbelt und wurde
in unwürdiger Weise hochgespielt, als ob der Bestand des Vereins gefährdet sei…" Er wäre auch zufrieden gewesen,
wenn sein Protest "nur" aus Mangel an Beweisen und "im Zweifel für den Angeklagten" abgelehnt worden wäre.
Vor allem gegen den Verweis legte er unter Berufung auf seine langjährige untadelige Mitgliedschaft und seine unbestrittenen
Verdienste Widerspruch ein. Außerdem verwies er auf die zweifelhafte Eile, mit der ein Vorstandbeschluss unter Leitung
des zweiten Vorsitzenden herbeigeführt wurde, während sich der Vorsitzende im Urlaub befand.
Diesen Einspruch gegen den "Verweis" hat man wohl stillschweigend geduldet.
Auch die Meisterschaft von 1965 sorgte für einigen Wirbel. Zunächst beendeten die Herren Mall, Kurz und Vogt das Turnier
punktgleich. Im doppelrundigen Stichkampf blieben Mall und Vogt erneut gleichauf, während Kurz den 3. Platz belegte.
Der zweite Stichkampf endete zunächst 1:1 und wurde bis zur nächsten Gewinnpartie verlängert. Die dritte Partie dieses
Stichkampfs endete am 28. Februar 1966 (also ca. 1 Jahr nach Ende des eigentlichen Turniers) remis. Bis Ende Juni war die fällige
vierte Partie noch nicht ausgetragen und der Vorstand hatte sogar entschieden, dass die Fortsetzung "nur noch von
historischem Interesse und ohne jede Bedeutung" sei. So sollten beide Spieler zum Vereinsmeister erklärt werden.
Gegen diese Entscheidung protestierte Friedrich Vogt im Juli 1966, obwohl er damit den sicheren (wenn auch geteilten)
Meistertitel ausschlug. Zumindest mit diesem Protest hat er sich wohl durchgesetzt, denn die Turniertabelle weist einen
2½:1½-Sieg für Mall aus, der die offenbar doch noch zustande gekommene 4. Partie gewonnen haben muss.
Erneut war Friedrich Vogt aussichtsreicher Anwärter auf den Meistertitel. Die offizielle Tabelle führt ihn jedoch nur auf Platz 4 mit einem Punkt Rückstand auf Kurt Mall und Wülfing Etter, deren späteren Stichkampf Mall gewann. Allerdings hat Herr Vogt gleich 3 Partien kampflos verloren, gegen die Spieler Leu (5.), Rummel (7.) und Ide (11.). Stellt man in Rechnung, dass er gegen alle 3 Gegner favorisiert gewesen wäre, hätte Vogt sicher mindestens einen weiteren Punkt – und damit einen erneuten Stichkampf – vermutlich aber mindestens 1½ Punkte aus den 3 Partien – und damit den Meistertitel – erreicht.
Um diese Partien entspann sich nun ein unschöner Streit. Offenbar war Herr Vogt längere Zeit ins Ausland gereist (u.a. zur Teilnahme an dem renommierten Turnier in Beverwijk / Niederlande) und hatte sich nicht ordnungsgemäß abgemeldet. Letzteres bestritt er aber vehement.
Turnierleiter Ide nahm dazu mehr als deutlich wie folgt Stellung: "Es kann selbst bei weitestgehender wohlwollendster
Nachsicht keinem Turnierteilnehmer zugestanden werden, … die Neuansetzung der durch sein Verschulden ausgefallenen
Partien zu beanspruchen."
Obwohl die Meisterschaft bereits im Februar endete, zog sich die Affäre bis in den Sommer hin. Der Vorstand wies Vogts erneuten Protest ab. Auch hiergegen legte dieser noch einmal Protest ein, nicht ganz zu Unrecht sich darauf berufend, dass seine drei Gegner sämtlich als Vorstandsmitglieder an der Entscheidung beteiligt waren.
Nach erneuter Ablehnung dieses Einspruchs endete die Affäre auf die traurigste denkbare Art:
Friedrich Vogt verstarb am
25. Oktober 1966 im 72. Lebensjahr.
Es wird Friedrich Vogt gewiss nicht gerecht, ihn an dieser unglücklichen Aufreihung von Streitfällen zu messen. Wäre er ein
Querulant gewesen, hätte man es wohl kaum mehr als 30 Jahre miteinander ausgehalten. Auch bei der BSG Eckbauer als seinem
Stammverein genießt Vogt noch heute hohes Ansehen.
Betrachtet man die 3 betrachteten Vorfälle, so dürfte er mit seinen Beschuldigungen zur Hängepartie gegen Mall 1964
wohl Unrecht gehabt haben und hat dies später auch indirekt eingeräumt. 1965 ist ihm das ehrliche Bemühen um eine sportliche
Entscheidung der Meisterschaft zuzugestehen.
Ganz egal, wie es schließlich 1966 zu dem Missverständnis um seine Verlegungsanträge kam, so war er in der Vereinsmeisterschaft
seines letzten Lebensjahres wohl der überlegene Spieler.
Zitieren wir schließlich die Zeitschrift SCHACH-ECHO vom August 1955, wo Vogt eine für einen Spieler seines Ranges bemerkenswerte Würdigung erhielt:
"Am 10. August d.J. wird Altmeister Friedrich Vogt, Berlin W30, Metzstr. 30, von allen Berliner Schachfreunden kurz "Fritze" genannt, 60 Jahre alt.
Wie wohl kein anderer hat er die schachliche Entwicklung Berlins miterlebt. Vor über 40 Jahren hatte er sich wie Fr. Sämisch dem Charlottenburger
Arbeiter-Schachklub verschrieben, um sich im Jahre 1933 der Schachvereinigung "Eckbauer" (der heutigen Berliner Schachgesellschaft "Eckbauer" 1827)
anzuschließen, der er noch heute als Aktiver angehört.
In seiner jahrzehntelangen Praxis brachte er es zu vielen Meisterehren, wenn es ihm auch niemals vergönnt war, Berliner oder Deutscher Meister zu werden,
obwohl er das Rüstzeug dazu gehabt hätte. Auch als Funktionär, als Turnierleiter und Vorsitzender Charlottenburgs, bzw. als Schachjournalist, erwarb er
sich das Vertrauen seiner Schachkameraden. …
Unbestritten sind seine Erfolge und Verdienste um das Berliner Schach. Nach dem Zusammenbruch war er der erste in Berlin, der die Charlottenburger
Schachspieler um sich versammelte, die BSG "Eckbauer" und den Berliner Schachverband in den Jahren von 1945 bis 1949 wieder zu neuem Leben erweckte.
…
Nicht nur als Vorbild auf schachlichem Gebiet, sondern auch in seinem Beruf, dem er als technischer Verwaltungsfachmann in einem großen Industrieunternehmen
mit gutem Erfolg in leitender Position nachgeht. Seine Hobbys neben dem Schach sind und bleiben das Schwimmen und das Nichtrauchen!"
Dem sei nur ergänzt, dass es sich bei dem genannten Industrieunternehmen um die Firma Siemens gehandelt haben dürfte, was "Fritzes" Mitgliedschaft bei uns ermöglichte.
Aus Vogts Zeit beim Arbeiterschachklub stammt die nachfolgende Partie vom Dezember 1923. Sie wurde im Heft 16/1924 der sozialdemokratischen
Zeitschrift "Volk & Zeit" veröffentlicht. Die Partie selbst ist nicht besonders spektakulär. Der Wert dieses Zeitdokuments
liegt für uns vor allem in der authentischen Kommentierung durch Friedrich Vogt selbst.
Herzlichen Dank an Markus Müller, der uns dieses Zeitdokument zur Verfügung stellte.
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