Unser Verein hat im ersten Jahrhundert seines Bestehens bewegte Zeiten durchlebt. Selbstverständlich gingen die gesellschaftlichen Brüche am Leben der Schachkameraden nicht spurlos vorbei. Vieles haben wir an anderer Stelle aufgearbeitet. Hier sollen nun einige Dokumente vorgestellt werden, die schlaglichtartig einen Blick auf längst vergessene Details vergangener Zeiten erlauben. Dabei steht diesmal nicht das reine Schachspiel im Mittelpunkt.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das bürgerliche Vereinsleben zunehmend von ideologischen Vorgaben überlagert. Wir wissen aus verschiedenen
Quellen, dass sich unser Vorsitzender Georg Rohrbach – obwohl der herrschenden Partei angehörend – im Zusammenwirken mit anderen engagierten
Schachfunktionären gegen die parteipolitische Vereinnahmung zur Wehr setzte. Freilich kam man im Alltag nicht umhin die geforderten Treuebekenntnisse
abzugeben. So ist es auch zu erklären, dass er im März 1938 zum Abschluss der Generalmitgliederversammlung einen Hinweis auf die Tagespolitik nicht
aussparen konnte. Wenn man noch berücksichtigt, wie beiläufig dies am Ende des dreiseitigen und ansonsten sehr detaillierten Protokolls erwähnt wird,
fällt es wohl in die Kategorie "unvermeidlich".
Das Zitat im Wortlaut: "Mit einem Hinweis auf die Größe der geschichtlichen Tat des Führers durch den Anschluß Deutsch-Österreichs zum
großdeutschen Reich schloß der Vorsitzende Herr Rohrbach die Mitgliederversammlung mit einem "Sieg Heil" auf Führer und Vaterland."
Auf den Verbleib unseres Spielmaterials gegen Ende des 2. Weltkriegs sind wir im vorigen Artikel eingegangen. Es ist beeindruckend, dass die Schachfreunde in dieser schweren Zeit die Zuversicht aufbrachten, sich nach dem Krieg am Schachbrett wieder zu begegnen. Offenbar hatten sie aber nicht das gesamte Spielmaterial in Verwahrung genommen. Schatzmeister Kunath fragte später bei der "Kameradschaft Siemens" nach dem Verbleib an und erhielt die Antwort, dass das Material an verschiedene Stellen – darunter auch zur Truppenbetreuung – abgegeben wurde. Der Vertreter des Dachvereins schloss seinen Brief vom Oktober 1944 mit der zeitgemäßen Grußformel.
Die Teilung Deutschlands zwischen 1945 und 1990 hat Spuren hinterlassen, die sich in unseren Archiven dokumentieren. Für einen Verein im Westteil der Stadt Berlin waren
die Folgen der Teilung im Alltag besonders spürbar.
Auf ein sehr eindrucksvolles Beispiel für diese schwierige Situation und den Umgang
damit gehen wir im Porträt unseres Schachfreundes Otto Preuß gesondert ein. Hier folgen einige weitere Momentaufnahmen.
Eher amüsiert liest man heute den nebenstehenden Stempel aus einem Buch ("Der Schachpraktiker" von Kurt Richter) in unserer kleinen Bibliothek.
Die uns vorliegende Ausgabe
wurde 1950 in Leipzig gedruckt. Wie das Buch in unseren Bestand kam, ist nicht mehr zu ermitteln. Der eingestempelte Text zeugt von einem
sehr frühen Abgrenzungsdenken, welches damals sogar im Widerspruch zu den Lippenbekenntnissen der Politiker in Ost und West gestanden haben dürfte.
Und hier noch einmal im Klartext: "Das Werk ist für den Gebrauch in der DDR bestimmt. Sein Export, seine Verwendung oder sein Besitz außerhalb der DDR
ist bei einer Konventionalstrafe in Höhe des 20fachen Ladenpreises zu Gunsten des Verlages verboten. Jeder Erwerber dieses Werkes unterwirft sich dieser
Verkaufsbestimmung. Wer dieser Bestimmung zuwider handelt, haftet für die vereinbarte Konventionalstrafe."
Es liegt in der Natur der Dinge, dass diese geradezu martialische Androhung schon bald ihre Wirkung verlor und das Buch dennoch recht bald seinen Weg in den
Westteil Berlins fand.
In den ersten Nachkriegsjahren wurde noch versucht, durch einen gemeinsamen Spielbetrieb die Verbindungen zwischen den Schachspielern in beiden Teilen der Stadt aufrecht
zu erhalten. Reisebeschränkungen für einzelne Personen machten dies zunehmend schwierig. Ein gravierendes Hemmnis stellten natürlich auch die unterschiedlichen
Währungen dar. Nebenstehender Beleg dokumentiert so, dass wir bei einem Heimspiel gegen Schachfreunde aus Friedrichshagen die Getränkekosten übernahmen,
"nur für die Gastmannschaft, da ihr kein Westgeld zur Verfügung stand."
Einen Monat später war die Mannschaft aus Lichtenberg zu Gast und es wurde erneut akribisch abgerechnet, dass wir die Kosten für 11 Kännchen Kaffee (10 Spieler
und 1 Mannschaftsleiter) übernommen haben.
Den gemeinsamen Sportverkehr von Ost- und Westteil Berlins gab es übrigens nur noch bis Sommer 1952. Eine Fortsetzung scheiterte daran, "dass die östlichen Vertreter nicht darauf verzichten können und wollen, den Sport politischen Zwecken dienstbar
zu machen." (Zitat aus einem Protokoll des Sportverbandes Berlin, Juli 1952).
Wenig später wurde der übergreifende Spielbetrieb auch im Schachverband eingestellt.
Kontakte zwischen Vereinen in West-Berlin und dem Bundesgebiet waren ausdrücklich erwünscht und wurden sogar staatlich gefördert. Allerdings konnten solche
Reisen auch eine Menge Unwägbarkeiten bereiten. Unsere Vorgänger reisten mehrmals zu befreundeten Vereinen u.a. nach Kiel und Nürnberg. 1970 ging es
gemeinsam mit der Schachgruppe Hertha 06 nach Bremen. Von unserer Seite waren Walter Borwig, Wülfing Etter, Thomas Glatthor und Manfred Leu dabei. Letzterer
nahm seine Vereinskameraden im eigenen PKW mit.
Das obere linke Bild zeigt die Quittung für den Reisekostenzuschuss des Berliner Senats, mit dem solche Treffen unterstützt wurden. Pro Teilnehmer und Kilometer zahlte der Senat 6 Pfennig.
Oben rechts sehen wir die vergleichsweise unspektakulären Tank-Quittungen. Doch bei einer Reise über die Straßen der DDR fielen noch andere
Kosten an. In einer Zeit, da man hierzulande den Begriff "Maut" noch gar nicht kannte, ließ sich die Ost-Berliner Regierung die Benutzung "ihrer" Straßen
durch Transitreisende vergelten. Später trat an die Stelle der individuellen Bezahlung eine auf staatlicher Ebene überwiesene Pauschale. So sind die hier links
abgebildeten "Gebührenbescheinigungen" ein selten gewordenes Zeitdokument. Der Betrag musste übrigens in "Ost-Mark" beglichen werden, nachdem man zuvor
den gleichen Betrag westlicher Währung umgetauscht hatte. Auch dies ist auf der Quittung vermerkt.
Als früherem DDR-Bürger fällt dem Autor auf, dass man sich bei diesem Beleg erstaunlich sachlich gab. Eigentlich wäre mindestens das dortige
Staatswappen zu erwarten gewesen, aber man wollte den durchreisenden Westler wohl nicht unnötig provozieren.
Moderat fällt unsere Hotelrechnung mit 16 Mark pro Person im Hotel "Westfalia" aus. Kaum lesbar ist noch vermerkt, dass wir 1 Mark Trinkgeld dort ließen.
Bedauerlicherweise hatte das Fahrzeug von Manfred Leu auf der Hinreise eine Panne (zum Glück nicht auf DDR-Gebiet) und musste nach Bremen geschleppt und
dort repariert werden.
(Siehe linkes Bild mit der Quittung für "Fahrt- und Abschleppkosten Walsrode – Bremen")
Für Manfred wurde somit eine zusätzliche Hotel-Übernachtung erforderlich und ein unplanmäßiger Fehltag am Arbeitsplatz.
Für den Verdienstausfall erhielt er vom Verein eine Entschädigung. Seine drei Reisegefährten mussten den Rückweg per Bahn antreten, wovon die klassischen
Fahrkarten Zeugnis geben. Ein Teil dieser Kosten wurde ihnen ebenfalls erstattet. Es fügte sich, dass man dafür den oben genannten
Zuschuss des Landes Berlin verwenden konnte.